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Trance Connection

Mit Pavarotti teilt er nicht nur das Talent zur Selbstvermarktung: Nusrat Fateh Ali Khan, Pakistans „beste Stimme der Welt“, trägt das Lob des Propheten auf westliche Tanzflure. Die sinnhungrige Popwelt freut's, der Fachmann wundert sich  ■ Von Daniel Bax

Qawwali ist eines dieser Worte, die in den allgemeinen Scrabble- Wortschatz geraten sind – und sei es, weil man da für ein Q zehn Punkte auf einmal einheimst. Keine schlechte Karriere für die Bezeichnung eines jahrhundertealten, mystischen Sufi-Gesangs aus Pakistan, den vor einer Dekade hierzulande bestenfalls eine Handvoll Musikethnologen buchstabieren konnten. Nusrat Fateh Ali Khan heißt der Mann, der Qawwali für den gewöhnlichen Musikkonsumenten erst zu einem Begriff gemacht hat.

Wo sind einem, im Kino zumal, Nusrat Fateh Ali Khans Qawwali- Elaborationen nicht schon überall begegnet: Als exotisches Geräuschschnipsel in Oliver Stones Massaker-Melodram „Natural Born Killers“, als archaischer Chant d'Orient in Martin Scorseses Bibel-Exegese „The Last Temptation of Christ“, als akustisches Lokalkolorit in Shekah Kapurs Phoolan-Devi-Hommage „Bandit Queen“ und, neulich erst, als mystisch-bedrohliche Klangkulisse zu Tim Robbins' Todeszellen-Kammerspiel „Dead Man Walking“. Gelegentlich trifft man sogar auf der Tanzfläche eines Londoner Clubs auf Qawwali-Klänge, die dann aber erst mit dickem Dope- Dub, TripHop oder Drum'n'Bass unterlegt sind.

Nusrat Fateh Ali Khan gilt als größter lebender Qawwali-Meister. Einen „Shahen-Shahe-Qawwal“ nennt man ihn in Pakistan, einen „König der Könige des Qawwali“, und als solchen läßt er sich auch gerne huldigen: „Le roi, c'est moi“. Das Rolling Stone-Magazin bescheinigt Nusrat Fateh Ali Khan sogar die „beste Stimme der Welt“, und er selbst preist sich, nicht minder bescheiden, als „leuchtenden Stern des Qawwali“ an.

Der Sufi-Superstar ist eine Art pakistanischer Pavarotti. Mit dem italienischen Startenor teilt er nicht nur den voluminösen Klangkörper, sondern auch das sichere Talent zur Selbstvermarktung. Davon kündet seine filmmusikalische Omnipräsenz wie auch die Wahl seiner Duett-Partner – nach Eddie Vedder von Pearl Jam soll sich demnächst die zierliche Isländerin Björk mit der Stimmgewalt ins Studio zwängen – quasi als Gipfeltreffen der Weltpop-Peripherie. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Dance-Remixen, die durch so erlesene DJ- Prominentenhände wie Massive Attack, Mick St. Clark oder Bally Sagoo gingen.

Doch Nusrat Fateh Ali Khan ist keiner jener Weltmusik-Propheten, die in ihrer eigenen Heimat wenig gelten. Der 1948 in Lyallpur, dem heutigen Faisalabad, geborene Sänger entstammt einer 600 Jahre alten Musik-Dynastie, deren Ursprünge sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Etwa in jene Zeit fällt, mit der Verbreitung des Sufismus auf dem indischen Subkontinent, auch das Aufkommen der dazugehörigen ekstatischen Gottes- und Prophetenlobgesänge, die man Qawwali nennt. Im Ali-Khan-Clan wurde das Qawwali-Zepter von Generation zu Generation weitergereicht, und wie immer gibt es dazu die entsprechende Legende: Demnach erschien der Vater Ustad Fateh Ali Khan, kurz nach seinem Ableben, seinem damals gerade 16 Jahre alten Sohn im Traum und wies ihm durch einen präzisen Griff an dessen Kehlkopf den Weg zur künftigen Karriere als Qawwali-Künstler.

Mag da die Grenze zwischen Tatsache und Tausendundeinernacht auch leicht verschwimmen – wahr ist, daß Nusrat Fateh Ali Khan heute als Qawwali-Koryphäe weithin anerkannt ist. Und neben den ebenfalls notorischen Sabri-Brüdern bisher der einzige, der auch im Westen reüssiert. Peter Gabriel, der Weltmusik-Pate schlechthin, lud Nusrat Fateh Ali Khan bereits 1985 zu einem WOMAD-Festival ins englische Bath. Bei Gabriels Real-World-Plattenlabel gehört der Qawwali-König heute, nicht zuletzt dank seines unermüdlichen Veröffentlichungseifers, zu den prominentesten Kassenfüllern.

Nicht anders in Pakistan, wo die Tantiemen allerdings, der vielen Raubkopien wegen, nicht zwangsläufig in den Taschen des Musikers landen. Dafür wird bei Auftritten vor heimischem Publikum das Bargeld von dankbaren Fans gleich bündelweise auf die Bühne geworfen. Bei solchen Anlässen stehen die Konzerthallen kopf, nicht wenige Zuhörer verfallen, im Schneidersitz schaukelnd, in einen Zustand äußerster Verzückung. Was auch durchaus so sein soll: Qawwali-Konzerte haben schließlich den Sinn, Sänger wie Zuhörer näher zu Gott zu bringen. Manch einer bleibt auch gleich dort, was unter Qawwali-Liebhabern als besonders schöne und beneidenswerte Todesart gilt – der Sufi-Stairway- to-heaven sozusagen.

Qawwali-Konzerte dauern mehrere Stunden. Auf seinen für den westlichen Weltmusikmarkt konzipierten Produktionen faßt sich der King of Qawwali allerdings deutlich kürzer. Bei den Arbeiten zu „Mustt Mustt“, seiner ersten Zusammenarbeit mit dem kanadischen Ambient-Avantgardisten Michael Brook, straffte dieser die normalerweise bis zu halbstündigen Gesangsaufnahmen, indem er Teile herausschnitt und zahlreiche Instrumentalpausen einfügte: Schonung für ungeübte Qawwali- Einsteiger, aber harter Tobak für Puristen.

Nusrats Neffe soll, nachdem er damals erste Kostproben von „Mustt Mustt“ zu Gehör bekam, ziemlich aufgeregt aus Pakistan angerufen haben: „Da sind diese Löcher im Song. Wir werden das ändern müssen, wenn wir es auf unserem Markt veröffentlichen, weil es so klingt, als habe er die Worte vergessen“ – herkömmlicher Qawwali ist nämlich Nonstopgesang.

Dabei ist es meist weniger die heimische Hörerschaft, die auf bedingungslose Traditionstreue pocht, als vielmehr die Schar westlicher Authentizitätseinkläger, die Verrat an irgendwelchen „Wurzeln“ wittern. Dabei ist Qawwali in Pakistan längst ein Teil der populären Unterhaltungsmusik geworden, wird nicht mehr nur vor Heiligenschreinen oder zu religiösen Feiertagen, sondern in profanisierter Form auch bei Hochzeiten und weltlichen Festen gespielt. Auch die indische Filmindustrie zeigt wenig Berührungsängste vor dem Heiligen und benutzt Qawwali schon seit langer Zeit gern und häufig als Soundtrack für ihre trashig-bunten Liebesepen. Wie jede andere Musikrichtung ist Qawwali ohnehin ein Bastard: Als Synthese von klassisch-indischer Volks- und Ragamusik mit der türkisch und persisch geprägten muslimischen Musik entstand sie im Zuge der Islamisierung des indischen Subkontinents im zwölften Jahrhundert, und als portugiesische Jesuiten ein paar Jahrhunderte später in Südasien aufkreuzten, bekehrten sie zwar nur wenige Inder zum Christentum, dafür aber die Qawwali-Musiker zum Harmonium, welches die ungleich schwerer zu stimmende Mandoline ablöste. Als bekannt wurde, daß Nusrat Fateh Ali Khan in den Tiefen von Peter Gabriels Real-World-Studios abtauchen würde, fürchteten Traditionalisten Kommerzialisierung und Ausverkauf. Düster-ahnungsvoll beschwor etwa der FAZ-Kritiker den drohenden Untergang des Morgenlandes: „Was nun, wenn sich Nusrat Fateh Ali Khan bei seinem Mentor Peter Gabriel abschaut, daß ein Synthesizer überhaupt nicht mehr zu stimmen und noch leichter zu transportieren ist?“

Das war noch vor dem Erscheinen der gefälligen Pop-Produktion „Mustt Mustt“. Inzwischen hat sich der pakistanische Ikonoklast ein weiteres Mal mit Michael Brook zusammengetan, und entstanden ist dabei „Night Song“, ein nicht weniger eingängiges Sufi-Pop-Album wie der gemeinsame Vorgänger.

Vom Plattenverlag wird es als transglobales Konzeptalbum angekündigt: „Kanada meets Pakistan“ – man könnte es auch die Ambient-Funk-Qawwali-Connection nennen. Michael Brooks' treibende Baßlinien erzeugen den mystisch- groovenden Teppich, auf dem Nusrat Khans Stimme durch bedeutungsschweren Synthie-Nebel gleitet wie der Strahl einer Taschenlampe durch Räucherstäbchenschwaden. Statt ekstatischer Gruppenimprovisation dominieren kühl arrangierte Popsong-Strukturen – das klingt streckenweise wie Kraftwerk im Sufi-Kloster.

Wegen seiner Pop-Präsenz liegt der Vergleich Nusrat Khans mit einer anderen Orient-Stimme nahe: mit Ofra Haza. Nicht nur, weil diese mindestens genauso häufig „in the Mix“ ertönt, sondern weil auch sie für ungewöhnliche Duettpartnerwahl, etwa den Sisters of Mercy oder Paula Abdul, bekannt ist. Doch der Qawwali-Riese läßt sich, anders als die israelische Sängerin, nicht bloß als dekorativer Exotik-Lieferant in vorgegebene Songschemata pressen – dafür ist allein schon sein Stimmorgan zu dominant.

Und er legt Wert auf den immanent religiösen Aussagegehalt seiner Chants: Auch wenn Worte im Qawwali-Kontext häufig keine konkrete Bedeutung haben und lautmalerisch eingesetzt werden, damit sie zur Ragamelodik passen, duldet der Qawwali-Messenger, wenn es um gesungene Koran- Verse oder Sufi-Poeme geht, keine geschnipselte Sinnentstellung durch westliche Produzenten.

Die Herkunft des Qawwali-Gesangs aus der Sphäre des Sakralen dürfte ohnehin einen guten Teil seines Erfolges begründen. Dient doch die Weltmusik dem zivilisationsmüden „Spiritchaser“ (Dead Can Dance) als dankbarer Impulsgeber für die Suche nach dem „Spirit in a material world“. Selbst wenn, fernab vom wilden Pakistan, Qawwali-Gesänge bestenfalls zur Transzendenz des Dancefloors beitragen.

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