Anklage gegen Nikitin erhoben

■ Umweltschützer von Bellona fürchten: Russischer Geheimdienst will unbedingt Todesstrafe erreichen

St. Petersburg (taz) – Der russische Geheimdienst FSB hat seine Ermittlungen in der Sache des Ex- Atom-U-Boot-Kapitäns und Umweltaktivisten Alexandr Nikitin formal abgeschlossen und dem Gericht in St. Petersburg eine Anklageschrift vorgelegt. Sie umfaßt nicht weniger als 5.000 Seiten und bestätigt nach Auffassung des Vorsitzenden der norwegischen Umweltschutzbewegung Bellona, Fredrik Hauge, die Befürchtung, der Geheimdienst habe sein ganzes Prestige in diese Sache gelegt: „Sie wollen unbedingt eine Verurteilung zum Tode erreichen.“

Die Anklage wegen Verrats stützt sich ausschließlich auf den kürzlich veröffentlichten Bellona- Rapport über die atomaren Gefahren, die von der russischen Nordflotte und deren Atommüllagern ausgehen (taz vom 2. September, im Internet unter http://www.grida .no/bellona/ehome). Staatsgeheimnisse sind laut FSB vor allem in den Kapiteln über frühere Unfälle mit Atom-U-Booten und über die aktuelle Sicherheit atomgetriebener Schiffe enthalten. Bellona hat eine Dokumentation vorgelegt, aus der hervorgeht, daß alle angeblichen Staatsgeheimnisse aus offenen Quellen zusammengetragen worden sind.

Nikitins Anklage stützt sich auf ein geheimes Militärgesetz aus dem Jahre 1993 (Dekret 71:93). Laut Nikitins Anwalt Jurij Schmidt ist dies gleich eine zweifache Verletzung von Rechtsprinzipien: Nikitin sei bereits 1992 aus dem militärischen Dienst ausgeschieden und könne nicht nach einem erst später geltenden Gesetz angeklagt werden. Außerdem könne niemand des Verstoßes gegen ein Gesetz angeklagt werden, das geheim sei. Neben der Verletzung geheimer Dekrete wird Nikitin Spionage und Verrat von Staatsgeheimnissen nach dem russischen Strafgesetzbuch vorgeworfen. Dafür droht die Todesstrafe oder eine langjährige Gefängnisstrafe.

Mit erstaunlicher Argumentation weist der FSB Nikitins Verteidigung zurück, er habe mit seiner Mitarbeit bei Bellona nur auf die umfassenden ökologischen Gefahren hinweisen wollen, die von der Atomflotte ausgehen: FSB verweist auf ein staatliches Komitee, welches festgestellt habe, daß atomare Unfälle bei der Flotte und Sicherheitsaspekte im Zusammenhang mit Atomreaktoren von U-Booten und Lagern von Atommüll nicht einmal theoretisch von ökologischer Relevanz sein könnten. Reinhard Wolff