: „Spaß haben an sich“
■ Im Gespräch: Bob Simon, Sänger, Tänzer und Rollen-Nachfolger von Tim Curry in der legendären „Rocky Horror Show“ / Premiere am Sonntag im „Pier 2“
Seit sechs Jahren tourt das London Musical Theater mit altbekanntem Kultstoff. Die Rocky Horror Show , die als Film (mit dem Zusatz „Picture Show“) und gruseliges Musical mit rasanten Tanznummern und Hits wie dem „Time Warp“ Strapse und rasierte Männerbeine für Millionen attraktiv machte, zieht auf der Bühne noch immer. Vor 23 Jahren machte Tim Curry die Rolle des lüsternen Obertransvestiten Frank'N'Furter, in dessen Hände das unbescholtene englische Spießerpaar Brat und Janet gerät, weltberühmt. Der neue Frank'N'Furter heißt Bob Simon. Die taz sprach mit dem Sänger und Tänzer aus Cleveland, Ohio, der sich von Berufs wegen seit drei Jahren die Beine rasiert.
taz: Als die Rocky Horror Show Premiere hatte, warst du drei Jahre alt, und Tim Curry hat deine Rolle weltberühmt gemacht. Wie kommst du damit zurecht, nicht das Original, sondern nur Teil der nächsten Generation der Rocky Horror Show zu sein?
Bob Simon:Tatsächlich ist man in meiner Situation immer ein wenig in der eines Hochstaplers, der sich eine fremde Rolle anmaßt. Tim hat die Rolle wundervoll gestaltet, das macht es schwer. Ich versuche, eine alte Rolle mit neuem Leben zu erfüllen.
Was macht dich zu einem würdigen Frank'N'Furter?
Daß ich ein Leben ohne Hemmungen führe. Ich glaube auch im wirklichen Leben an die gute Natur des Menschen; daran, daß der menschliche Körper dazu da ist, eine gute Zeit zu haben. Ich genieße es, Schranken zu durchbrechen, im richtigen Leben wie auf der Bühne.
Was macht denn heute noch den Reiz der Show aus? Die Promiskuität?
In der Show geht es nicht darum, mit jedem und jeder im Raum zu schlafen, abgesehen davon, daß das Stück für solche Fälle ohnehin immer sicheren Sex empfiehlt. Es geht darum, dich gehenzulassen, deine Schranken loszuwerden.
Wieso zieht das Stück noch heute?
Das Stück war seiner Zeit voraus, aber es spricht nicht irgend welche sexuellen Präferenzen an, sondern nur das Spaßhaben an sich. Sei, wer du sein möchtest, zieh dich an, wie es dir gefällt. Vor allem aber kannst du dich an der Musik niemals überhören. Ich habe die Stücke hunderte Male gehört und habe noch nicht genug von ihnen. Und ich habe sie sogar hunderte Male gesungen und habe nicht genug von ihnen. Es ist nicht nur ein Theaterstück, es ist Rock'n'Roll.
Ist mit der Show das Publikum mitgealtert?
Natürlich. Die Leute, die die Show damals sahen, waren in den Zwanzigern. Heute haben sie Kinder, sogar Enkelkinder und bringen die mit.
Live lebt das Stück von festgelegten Ritualen, vom Mitmachen. Bei der Hochzeit von Brat und Janet darf man Reis auf die Bühne werfen und so weiter. Unterscheiden sich die Europäer in ihrer Reaktion von den Amerikanern?
In den USA oder in England sind die Leute schon ausdrucksstär-ker. Das Stück hat viele Zeilen, auf die das Publikum antwortet, wie ein großer Chor. Die Leute hier sind vermutlich nicht so sehr mit der Sprache oder dem Text vertraut. Dafür sind sie aber aufmerksamer.
Ist es nicht schwierig, das Stück neu in Szene zu setzen? Figuren wie der von Frank'N'Furter erschaffenen Kunstmensch Rocky werden mit neuen Eigenschaften versehen. Der ist jetzt ein selbstbewußter, langhaariger Italotyp und war in der Urversion ein schüchterner, blonder Lustknabe. Hat diese neue Interpretation eine Chance, sich gegen die übermächtigen Filmbilder durchzusetzen?
Eine Show ist etwas anderes als der Film. Es ist lebendiger, intensiver. Bei uns gibt es keine tollen Spezialeffekte, keine Katzen, die auf gigantischen Autoreifen in den Himmel schießen. Aber das muß auch nicht sein. Es geht um das, was im Kopf passiert und was im Herzen passiert. Ich bin erschöpfter, wenn ich eine gute Inszenierung dieser Show gesehen habe, als wenn ich mitspiele. Es passiert etwas mit dem Publikum. Es ist ein Gehirntrip, ein Hirnfick, da geht es nicht um eine tolle Kulisse. Bis jetzt habe ich dieses Stück 300 Mal gebracht und habe noch 600 Auftritte vor mir, aber jedesmal ist es anders. Im Film siehst du Tim jedes Mal genau gleich spielen. Ich kann mit dem Publikum kommunizieren, anders, unvorhergesehen reagieren. Meine Arbeit ist es, euch glauben zu lassen, es wäre keine. Und mit dieser Fähigkeit spielen wir.
Fragen: Lars Reppesgaard
Premiere am Sonntag um 20 Uhr im Pier 2. Folgetermine 7. und 8.10., 20 Uhr.
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