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Mitleidsloser Zugriff

■ Felicitas Hoppe liest aus „Picknick der Friseure“

Gleich zu Anfang, in der Erzählung Die Handlanger, behauptet Felicitas Hoppe selbstgewiß und bescheiden zugleich: „Vieles spricht nicht gegen das Schreiben. Es ist eine warme und geschützte Tätigkeit. Selbst bei schlechter Witterung gelingt hin und wieder ein lesbarer Satz.“ Wer die zwanzig Kurzgeschichten in Picknick der Friseure liest, erfährt, wie viele lesbare Sätze ihr Debüt versammelt.

Die knappen, skurrilen Erzählungen verweigern jedwede Erklärung. Aus dieser Absichtslosigkeit rühren ihre überraschende Wucht und ihr eigenwilliger Humor. Jede umfaßt höchstens drei oder vier Seiten. Ihre Spannung beziehen sie aus dem kühnen und kühlen Zugriff auf abgründige Situationen.

Der Balkon beispielweise berichtet von einer plötzlich ausbrechenden, erbarmungslosen Schlägerei. Der Mensch ist des Menschen Wolf, das meint auch Felicitas Hoppe und erzählt konsequent vom praktischen Nutzen der Grausamkeit. Inmitten der aufeinander eindreschenden Menge „sammelte ich ein paar Zähne ein, weil ich annahm, sie könnten meinen Schwestern Freude bereiten.“ Mitleidlos beschreibt die Autorin das Verhalten von Menschen. Da wird in Die Pilger eine Rothaarige von ihrem Vater gräßlich traktiert, damit der Haarwuchs verschwinde.

Die Figuren in Picknick der Friseure haben keine Namen und keine Wirklichkeit. Hoppes nüchterne Sätze setzen eine eigene Realität. Fast beiläufig konfrontieren sie den Leser mit absurd anmutenden Situationen, in denen Rituale statt Emotionen gefragt sind: „Kein Zweifel, mein Geliebter will nicht mehr Hand an mich legen, und es ist Zeit, daß ich mich nach neuen Handlangern umsehe.“ Die Wahl fällt auf den Kurparkdirigenten, der fortan ausersehen ist, „die Leere meiner Rede durch entschlossenes Tun auszufüllen“.

Die Geschichten in Picknick der Friseure sind extrem, weil sie Menschen ohne gefühlige Innenwelt und ohne die Empfindungssucht zeigen, die heutige Prosa prägt: „Ich bin nicht glücklich und habe nicht die Absicht, es zu werden“, heißt es in Leben und Werk. Mal geht es wundersam wie im Märchen zu, dann aber auch grausam und grotesk, aber immer beleuchten die Erzählungen, wie Menschen einander in Lebens- wie in Liebesdingen traktieren. Ob von Demütigungen, Leiden oder Träumen die Rede ist – die Sprache dieser Prosa ist kristallklar und präzise. Sie fesselt, verblüfft und verstört. Kann man von guten Geschichten mehr verlangen?

Frauke Hamann

Picknick der Friseure, Rowohlt, 91 Seiten, 28 Mark

Lesung: morgen, 20 Uhr, Literaturhaus

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