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„Hamburg, meine liebste Stadt“

taz-Portrait-Serie über bosnische Flüchtlinge in Hamburg – Teil 5: Serif Nuhanovic (53) aus Bihac  ■ Von Silke Mertins

Die Zierkissen auf der Couchgarnitur haben einen ordentlichen Knick in der Mitte. In der Schrankwand, Eiche rustikal, stehen Familienfotos. „Meine Kinder“, sagt Serif Nuhanovic (53), „die sind beide hier geboren.“ Bevor er über den Krieg reden will, „trinken wir jetzt erst mal eine Tasse Kaffee“. Schnäpschen dazu? Serif gluckst vergnügt; es ist erst zehn Uhr morgens, und andere zum Lachen zu bringen macht ihm Spaß. „Erst mal in Ruhe anfangen“, sagt er, „ich habe Zeit.“ Denn Serif hat Urlaub.

Früher waren die arbeitsfreien Tage kostbar. Denn da fuhr er jeden Sommer von Hamburg nach Bihac, West-Bosnien, um an seinem Haus zu bauen. „Bevor es losging, konnte ich gar nicht mehr schlafen“, erinnert er sich, „so aufgeregt war ich, mein Haus wiederzusehen.“ Ein halbes Arbeitsleben lang hat er all sein in Hamburg verdientes Geld und seinen Jahresurlaub dort hineingesteckt. Dann kehrte er nach 17 Jahren in Deutschland mit der Familie zurück, ließ seine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung und Hamburg hinter sich, um als Handelsvertreter für eine deutsche Firma in Jugoslawien zu arbeiten.

Daß er später als Flüchtling nach Hamburg zurückkehren würde, hätte Serif nie für möglich gehalten. Zwei Kilometer von der Frontlinie entfernt stand sein Haus. Als die Panzer vor Bihac standen, mußten sie weg. Jetzt ist „alles kaputt“. Auch die Zukunft.

Serif will niemanden anklagen. Er versteht den ganzen Krieg auch gar nicht. Lieber erinnert er sich an die Zeiten, als er auszog, die Welt zu sehen. Damals, vor 30 Jahren, bewarb er sich als Facharbeiter in Deutschland. „Ich konnte mir Köln, Essen oder Hamburg aussuchen“, erzählt er, „dann habe ich auf die Karte geguckt und gesehen, daß Hamburg am weitesten weg ist. Da wollte ich hin.“ Mit Kollegen „fuhren wir, bis es nicht mehr weiterging“. Bahnhof Altona. Serif wurde Blohm + Voss zugeteilt. „Mein Wohnheim war in Othmarschen. Eine Mark haben wir pro Tag bezahlt.“ Heimweh? „Wieso denn Heimweh? Ich wollte etwas von der Welt sehen!“

Seine Frau holte er nach, die Tochter kam zur Welt, dann der Sohn. „Wir haben uns hier angepaßt, nach deutscher Art gelebt.“ Deutscher Art? „Naja, wir sind doch Moslems, aber wir haben Weihnachtsgeschenke gekauft“, sagt er, „unsere Tochter ging zur Schule, und meine Frau hat sehr darauf geachtet, daß alles so ist wie bei den anderen Kindern.“ Trotzdem „wollte ich nicht, daß die Kinder ihre Herkunft vergessen“. Sie besuchten neben der deutschen auch eine jugoslawische Schule, und „ich war sehr stolz, daß sie beide Sprachen perfekt sprachen“.

Das Herumreisen als Firmenvertreter in ganz Jugoslawien, der Kontakt mit vielen verschiedenen Menschen – das war genau das richtige für den geselligen Serif. „Man hat sich leicht befreundet.“ Und bekam auch leichter mit, daß sich die Stimmung veränderte. Doch „wenn ich davon zu Hause in Bihac erzählte, wollte es einfach keiner glauben“.

Wieder in Hamburg halfen „serbische Bekannte uns wieder auf die Beine“. Serif fand Arbeit bei seiner alten Firma. Noch ein paar Jahre, dann könnte er sich pensionieren lassen. 20 Jahre lang hat er schon in die deutsche Rentenkasse eingezahlt. Doch formal gehört er zur ersten Stufe der „Rückführung“: Alle Bosnier ohne minderjährige Kinder sollen heimkehren und das Land aufbauen. Dazu hat Serif keine Kraft mehr. Eher würde er nach Kanada oder Australien auswandern. Noch ein Neuanfang, noch eine neue Sprache? „Ach, was“, ist Serif schon wieder zu Scherzen aufgelegt, „ist doch nicht so schwer: How do you do? kann ich. Und beer, whisky, brandy ist dasselbe.“ Doch am liebsten würde er an der Elbe bleiben. „Ich habe hier meine besten Jahre verbracht und mich hier immer wohl gefühlt: Hamburg ist mir die liebste Stadt auf der ganzen Welt.“

Morgen, taz -Portrait-Serie, Teil 6: Dusko Kristic (25), „Die ethnische Säuberung wollte ich nicht mitmachen.“

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