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Der Zeitgeist als Erfolgsrezept

Gesichter der Großstadt: Der Kunstsammler Erich Marx sammelte einst die Jungen Wilden und feiert bald die Eröffnung des „Museums für Gegenwart“  ■ Von Katrin Bettina Müller

Er ahnt schon, welchen Platz sich der Fotograf aussuchen wird: Denn nicht zum erstenmal stellt sich Erich Marx vor sein Porträt von Andy Warhol. Der Siebdruck entstand 1978, nach einer Sofortbild-Fotosession mit Warhol in einem Zürcher Hotel. Für Marx, schon damals weißhaarig, wählte Warhol die Pose des Intellektuellen, den Kopf aufgestützt; die farbliche Spannung weist auf die Aktivität des Geschäftsmannes hin. Sein Partner Axel Steinwarz, „der Rechner von uns beiden“, ist dagegen in ein nüchtern kaltes Grau gespannt. Ein subjektives Element bringen die beiden Porträts kaum in die anonyme Atmosphäre der Geschäftstelle der Unternehmensgruppe Dr. Marx, zu der zahlreiche Objekt- und Dienstleistungsunternehmen gehören: Schließlich taugt zur Pop-Ikone nur, wer erfolgreich am eigenen Image arbeitet.

Mit Beuys, Twombly und Rauschenberg gehört Warhol zu den vier Säulen der Sammlung Marx. Sie bringen für ihn den Geist der Nachkriegszeit exemplarisch zum Ausdruck. „Andy Warhol wäre heute nicht mehr denkbar, der ist überholt von der Zeit“, kommentiert Marx das Eingebundensein der Kunst in die Geschichte: „Was Warhol vorgedacht hat, ist heute Allgemeingut. Aber er hat das, was wir heute erkennen, damals schon gesehen und umgesetzt.“

Im eigenen Porträt in den Büroräumen spiegelt sich dennoch ein Rest der naiven Freude am Kunstbesitz, mit der Marx Ende der sechziger Jahre zu sammeln begann. Da bildeten die Ateliers der Berliner Realisten und Neuen Wilden seine Jagdgründe: Als erstes kaufte er 14 Bilder von Grützke, auf einen Schlag. Petrick, Vogelgesang, Fetting, Salom, Koberling, die er bald auch persönlich kannte, folgten. Damals wälzte er auch zusammen mit anderen Berliner Sammlern zum ersten Mal die Idee eines Sammler-Museums. Doch diese Phase der spontanen, emotionalen Entscheidungen betrachtet er heute als konzeptionslos, zufällig, ohne Zusammenhang.

„Museumsqualität“ und „Internationalität“ hieß ab Mitte der siebziger Jahre sein Konzept, das er – beraten von seinem Freund Heiner Bastian, der sich damit in der Berliner Kunstszene nicht eben beliebt machte – ausarbeitete. Sammeln war nun für Marx nicht länger privater Luxus, sondern ein Unternehmen, das er mit einer ähnlichen Lust am Erfolg verfolgte, wie sein Geschäft. Das Ergebnis erinnerte dann allerdings bei der ersten Ausstellung in der Nationalgalerie 1982 den Kritiker Heinz Ohff an eine Top-ten-Liste der Kunst aus dem Manager-Magazin. Eine Ausnahme bildeten allerdings die frühen Bilder des hier noch kaum bekannten Twombly.

Damals war Marx in das Schußfeld der Hausbesetzer-Szene geraten, und noch heute merkt man ihm den Ärger über die Vorwürfe als „berüchtigter Spekulant“ an. Dann besinnt er sich auf seine Herkunft aus einer „Arbeiterfamilie“ und wettert gegen die linken Sprücheklopfer, die in ihm eine öffentlich präsente Zielscheibe fanden. Die Konstellation war hervorragend geeignet, um über „Kunst und Moral“ zu spekulieren, zumal Beuys, der seine Kunst auch als politische Haltung leben wollte, sich gleichzeitig mit den Hausbesetzern solidarisch erklärte und zu seinem Sammler hielt. Dabei war es nicht zuletzt die Effizienz der Kunstkäufe, die das romantische Klischee von der Kunst als dem ganz anderen ankratzte und die Illusion ihrer Unabhängigkeit von Geschäftstaktiken zerstörte. „Wenn Sie eine Yacht im Mittelmeer haben, fragt Sie kein Mensch heute, woher Sie das Geld haben“, regt Marx sich noch heute auf: „Aber wenn Sie eine Kunstsammlung nicht nur besitzen und verstecken, sondern der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, fragen alle – wo hat der Mann das Geld her?“

Für ihn verbindet denn auch die Kunst mit seinem Unternehmen, das sich vor allem auf den Bau und den Betrieb von Kliniken spezialisiert hat, mehr als das Geld. „Die Phantasien und Vorstellungen, die man hat, in die Realität umzusetzen, das zeichnet den Unternehmer aus. Er sucht den Weg von einer Utopie zu einer Realität.“ Deshalb denkt er mit 75 Jahren auch noch nicht an ein Ende der Arbeit oder des Sammelns.

In die Politik dagegen unternahm der Jurist einen kürzeren Ausflug Anfang der achtziger Jahre – in den Landesvorstand der FDP. Er gewann der Partei zwar bald über 300 neue Mitglieder, aber die verschlungenen Wege und die Langsamkeit der Politik waren für ihn, den Pragmatiker, bald nicht mehr ertragbar. Sein Leben als Sammler dagegen wird mit der Eröffnung des „Museums für Gegenwart“ im Hamburger Bahnhof mit großen Teilen seiner Sammlung und der Neuen Nationalgalerie am 3. November einen unbezweifelten und deutlich sichtbaren Höhepunkt erreichen – beendet ist es damit nicht. Schon in den Jahren der Planung kamen jüngere Künstler hinzu – wie Keith Haring, Jeff Koons, Cindy Sherman, Rachel Whiteread – mit denen er seine Neugierde nach dem Neuen befriedigte. Seine Sekretärin verbringt nicht wenig Zeit am Telefon damit, Angebote von Künstlern und Galeristen entgegenzunehmen. Daß er seine Sammlung nicht als abgeschlossene Einheit betrachten will, weil „zeitgenössische Kunst immer ein vorher und ein nachher hat“, die Bedeutungen und Bewertungen der Werke verändern können, ließ die Juristen über dem Leihvertrag mit den Staatlichen Museen zu Berlin schwitzen. Mit der ungewöhnlichen Klausel, daß „in Abstimmung mit den Museen einzelne Werke verkauft werden können, wenn mit dem Erlös der Bestand sinnvoll erweitert oder qualitativ verbessert werden kann“, sichert er seinen Einfluß ab.

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