■ Kommentar: Braunes Leitbild
Gewiß, es gibt viele Straßen in einem Bezirk. Man kann nicht wissen, warum diese Müllerstraße, jene aber Schmidtgasse heißt. Meist hängen ja auch keine Schildchen am Pfahl. Man müßte extra ins Lexikon gucken oder in die Bibliothek gehen. Im Falle des Seebergsteigs im Wilmersdorfer Stadtteil Schmargendorf hat sich die CDU diese Arbeit bislang erspart. „Wer ist schon Seeberg?“ gab sich die stärkste Partei des Bezirks ahnungslos. Warum soll man diesen Straßennamen ändern und den ärmlichen AnwohnerInnen des Grunewalds horrende Kosten für neue Briefköpfe und Visitenkarten aufbürden?
Die engagierten BürgerInnen, die die Straße umbenennen wollen, haben statt dessen geforscht und folgendes zutage gefördert: Die Nazis benannten die Straße 1936 nach einem der Ihren. Theologie-Professor Seeberg war einer derjenigen, die Protestantismus und Faschismus miteinander verknüpften und damit der antisemitischen Ideologie den Weg in die Kirche ebneten. Für die Christdemokraten dürfte nun kein Grund mehr bestehen, sich der Umbenennung zu widersetzen.
Obwohl ihr historischer Kenntnisstand so nachhaltig gehoben wurde, ist trotzdem nicht auszuschließen, daß die CDU weiterhin auf Seeberg beharrt. Schließlich ist der Wilmersdorfer Kreisverband einer der reaktionärsten innerhalb des Berliner Parteispektrums. Der rechte Flügel findet nichts dabei, den braunen Theologen uns heute noch als kulturelles und politisches Leitbild zu empfehlen. Welchen anderen Sinn haben Straßennamen? Indem die CDU der faschistischen Ideologie zum Weiterleben verhilft, untergräbt sie unser Gemeinwesen, das angetreten ist, die Würde aller Menschen zu achten. Hannes Koch
Siehe Hintergrund Seite 23
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