: Armenien will kein Zwerg mehr sein
Der beste Fußballer armenischer Abstammung, Youri Djorkaeff, wird beim heutigen WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland nicht dabeisein, dennoch träumt man in Jerewan von der Sensation ■ Von Günter Rohrbacher-List
Noch vor drei Jahren war der armenische Fußball in Europa isoliert. Wegen des kriegerischen Konflikts mit Aserbaidschan um die armenische Enklave Nagorny Karabach konnte den potentiellen Gegnern weder eine Landung auf dem Jerewaner Flughafen noch ein Fußballspiel im Stadion Rasdan zugemutet werden. Nach dem Ende des Krieges war der Weg jedoch endlich frei. Bei den Ausscheidungsspielen zur Europameisterschaft belegten die Armenier noch den letzten Platz in ihrer Gruppe. Inzwischen stehen sie aber auf einer Stufe mit anderen „Kleinen“, die den vermeintlich „Großen“, wie etwa Paraguay (2:1 in Asunción) oder Portugal (0:0), schon einmal ein Bein stellen können. Heute versuchen sie dies mit der deutschen Nationalmannschaft, die in Jerewan ihr erstes Qualifikationsspiel zur WM 1998 bestreitet (18 Uhr live im ZDF).
Seine beste Zeit hatte der armenische Fußball Anfang bis Mitte der siebziger Jahre, als der damals einzige armenische Vertreter in der sowjetischen ersten Spielklasse, Ararat Jerewan, 1972/73 im UEFA-Cup erst nach Elfmeterschießen gegen den 1. FC Kaiserslautern unterlag und 1974 als sowjetischer Meister Bayern München im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister das Leben schwer machte: Nach dem 1:0 in Jerewan verlor Ararat das Rückspiel mit 0:2.
An solche Zeiten anzuknüpfen ist der Armenier großer, aber auf weite Sicht unerfüllbarer Traum. Gagik Egiazarian, Fußballexperte aus dem krisengeschüttelten Land, berichtet vom Mangel, mit dem alle dort leben müssen. Durch die hohen Ausgaben für die Rüstung und den Wiederaufbau nach dem verheerenden Erdbeben 1988 fehlt Geld für alles. Es gibt kein Papier, oft keinen Strom, keine Arbeit, wenig Lohn. Armenien ist eines der ärmsten Länder innerhalb der alten GUS, der es weiterhin angehört. Da wundert es keinen, daß die besten Fußballer das Weite suchen, wenn sie Angebote aus dem Ausland haben.
Beim überraschenden 0:0 im ersten WM-Qualifikationsspiel gegen Portugal und auch beim 1:1 in Nordirland am vergangenen Samstag gefielen die Armenier technisch und kämpferisch. Die 60.000 Zuschauer im Stadion Rasdan bekamen gegen Portugal endlich wieder einmal guten Fußball zu sehen. Denn die armenische „Super- Liga“, in der acht von zwölf Mannschaften aus Jerewan kommen, brät im eigenen Saft. Die Moskauer Clubs, Tiflis und Kiew kommen nicht mehr, so gerät die Meisterschaft zum Stadtwettbewerb, wenn nicht Chirak Gyumri dazwischenfunkt.
Aus dem aktuellen Aufgebot von Nationaltrainer Choren Oganesian, der erst seit Juni 1996 im Amt ist, kommen neun Spieler vom Meister und Pokalsieger Pyunik Jerewan, vier spielen in Rußland und einer im Iran. Doch der Fundus, aus dem Oganesian schöpfen kann, ist noch größer. Vor allem in Frankreich tummeln sich einige Armenier beziehungsweise Armenienstämmige, auf die der Coach ein Auge geworfen hat. Sie sind meist in Frankreich geboren, Kinder armenischer Flüchtlinge, die dem türkischen Pogrom im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts entkamen.
Zu deren Nachfahren gehört auch Michel Ter-Zakarian, Abwehrspieler des SC Montpellier, der von der UEFA grünes Licht für seinen Einsatz in der armenischen Nationalelf erhalten hat. „Ich bin mit dem Herzen bereit, alles für den armenischen Fußball zu geben“, meinte er zu dieser Entscheidung. Ter-Zakarian, der gegen Portugal bis zu seiner Verletzung eine starke Partie bot, wird wohl nicht gegen den Europameister spielen, auf jeden Fall aber Eric Assadourian vom französischen Klub EA Guingamp, der bei seinem ersten Einsatz für Armenien gegen Nordirland sogleich ein Tor erzielte. Andere Frankreich- Profis wie Pascal Bedrossian (AS Cannes), Frédéric Tatarian (OGC Nizza), Gilles Hampartzoumian (OSC Lille), Marcelo Kiremitajian (Olympique Lyon) oder Vincent Yazmadjian (ASOA Valence) könnten theoretisch ebenfalls für Armenien spielen. Kiremitajian ist ein guter Libero und brasilianischer Abstammung, Torhüter Yazmadjian kommt gar von einem Club aus der zweiten Division, bei dem alle wichtigen Funktionäre Armenier sind.
Einer, der ebenfalls armenische Vorfahren hat, wird allerdings nie für das Land spielen dürfen: Youri Djorkaeff von Inter Mailand hat etliche Spiele für die französische Nationalmannschaft absolviert. Seine Wurzeln hat Djorkaeff aber nie geleugnet. „Ich bin Armenien sehr verbunden, auch wenn ich noch nie dort gewesen bin“, sagt der Mittelfeldspieler. Die Prämie, die er als bester Akteur beim Spiel Frankreich gegen Rumänien während der Europameisterschaft erhielt, spendete Djorkaeff einer Stiftung, die ein noch berühmterer Abkömmling Armeniens zugunsten seines Heimatlandes gegründet hat: Charles Aznavour(ian).
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