: Verraten und verkauft
Das Böse dieser Welt war sein Metier, das Bundeskriminalamt seine ergiebigste Informationsquelle. Doch als geheime Unterlagen über die mißglückte Antiterror-Aktion in Bad Kleinen an die Öffentlichkeit lanciert wurden, lieferte er den mutmaßlichen Informanten ans Messer. Die Geschichte des „Vertrauensjournalisten“ Rudolf Müller vom „Stern“ ■ Von Gerd Rosenkranz
Als Rudolf Müller am Mittwoch, dem 2. März 1994, mit seinem Briefumschlag in der Presseabteilung des Bundeskriminalamts (BKA) aufkreuzt, steuert die Stimmung unter den Elitepolizisten gerade dem absoluten Nullpunkt zu. Die Wiesbadener Krankheit, zuerst ausgebrochen nach der blutig- mißglückten Anti-Terroraktion von Bad Kleinen Ende Juni 1993, treibt die Mammutbehörde in immer neuen, immer heftigeren Schüben in die Krise.
Am Samstag zuvor hatte diese Zeitung mit der Nachricht aufgemacht, Klaus Steinmetz, der V-Mann, der die Fahnder seinerzeit an den Schweriner See führte, sei möglicherweise selbst ein „tragendes Mitglied der RAF“ und außerdem am Sprengstoffanschlag auf den Gefängnisneubau von Weiterstadt beteiligt gewesen. Quelle des taz-Berichts waren — nicht zum ersten Mal — interne Unterlagen des BKA. Genauer: eine geheime Analyse des für die „Rote Armee Fraktion“ zuständigen Referats TE 11. Am Montag zog das Münchner Magazin Focus auf Basis derselben Indiskretion nach. Noch am selben Tag erstattete BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert — ebenfalls nicht zum ersten Mal — Strafanzeige gegen unbekannte Mitarbeiter seiner eigenen Behörde wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen. Am Dienstag wurde der für die Steinmetz-Analyse verantwortliche Referatsleiter, Kriminaloberrat Karl B., in die Abteilung Rauschgiftbekämpfung strafversetzt.
Am Mittwoch danach der große Auftritt von Rudolf Müller. Der Journalist, seit 1977 als Frankfurter Korrespondent in Diensten des Stern, ist im Amt kein Unbekannter. Ein Insider wird ihn später süffisant „einen unserer Vertrauensjournalisten“ nennen. Und in der Tat, wenn es um Staatsschutzinterna zum Komplex RAF ging, war Müller in der Vergangenheit nicht selten vorne dran – so zum Beispiel Anfang 1992, als das Hamburger Magazin vorzeitig die Grundzüge der sogenannten Kinkel-Initiative zur Haftentlassung einer Gruppe von RAF-Gefangenen veröffentlichte. Schon damals mutmaßten hohe Sicherheitsbeamte, Müller, ein Spezi Alexander von Stahls, müsse für den Bericht direkt vom damaligen Generalbundesanwalt gefüttert worden sein — möglicherweise, um die Entspannungsbemühungen des früheren Justizministers beim Kampf gegen die RAF zu torpedieren. Zwei Jahre später — also sieben Monate nach von Stahls unrühmlichem Abgang wegen des katastrophalen Bad- Kleinen-Einsatzes — veröffentlichte der Stern ein peinliches Interview, in dem der gescheiterte Terroristenjäger und FDP- Rechtsausleger („Ich habe keine Fehler gemacht“) einen letzten Versuch unternahm, auf den Karlsruher Chefsessel zurückzukehren und seine „Parteifreundin“ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die ihn zuvor gefeuert hatte, als Justizministerin zu kippen. Die Fragen bei diesem Interview stellte – Rudolf Müller.
An diesem Mittwoch Anfang März 1994 also erscheint der „Vertrauensjournalist“ mit einem Präsent in der Zentrale des BKA. Aus seinem Aktenkoffer zieht Müller Kopien jener Unterlagen, auf deren Basis taz und Focus ihre Berichte vom Wochenende verfaßt hatten. Auch in der Hamburger Stern-Redaktion war nämlich wenige Tage zuvor die anonyme Post eingegangen und zuständigkeitshalber nach Frankfurt weitergefaxt worden. Ob der Stern, wie Müller dem BKA-Pressesprecher Willy Terstiege weismachen will, die authentischen Unterlagen wirklich als „unseriös“ einstufte oder diese wegen des ungünstigen Erscheinungstermins des Magazins nicht für einen Bericht nutzte, muß offen bleiben.
Jedenfalls befördert Müller — er versichert: nach Rücksprache mit der Hamburger Zentralredaktion — die brisanten 24 Blatt Papier dorthin zurück, wo sie (vermutlich) herkamen. Eine merkwürdige Form der Gegenrecherche, für die das BKA dem Journalisten vorab telefonisch „absolute Vertraulichkeit“ zugesichert hatte.
Der Kollege Müller tut den Oberkriminalern noch mehr Gutes. In einem zweiten Briefumschlag päsentiert er den Beamten Kopien einer Postwurfsendung, die bereits im Spätsommer 1993, zwei Monate nach dem Desaster von Bad Kleinen, Furore gemacht hatte — allerdings nicht im Stern, sondern wiederum beim Münchner Konkurrenzblatt Focus. Just als die ungeklärten Todesumstände des GSG-9-Beamten Michael Newrzella und des RAF-Aktivisten Wolfgang Grams zu einer handfesten Staatskrise eskalierten, hatten anonyme, im BKA vermutete Nachrichtenhändler den beiden Magazinen gegen gebündeltes Bares („Anzahlung 10.000 DM“) heiße Interna zum Komplex Bad Kleinen offeriert. Beide Redaktionen hatten sich an dem hochexplosiven Info-Paket aus der Asservatenkammer des Staatsschutzes interessiert gezeigt und dies im August 1993 — entsprechend den Anweisungen der Anbieter — durch fingierte Inserate in der Mainzer Allgemeinen Zeitung (Rubrik: „Zweiräder“) dokumentiert.
Dem umfangreichen Materialangebot war seinerzeit bereits eine Kostprobe beigefügt, aus der Focus flugs eine eigene Geschichte anrührte. Im Faksimile druckten die Münchner Auszüge aus einem BKA-Auswertungsbericht und eine Seite aus dem Taschenkalender des in Bad Kleinen getöteten RAF-Aktivisten Wolfgang Grams. Der eigentliche Nachrichtendeal kam allerdings nie zustande. Nun liefert Müller den Wiesbadener Kriminalern die Unterlagen frei Haus zurück.
Ein Hoffnungsschimmer für das BKA. Denn schon seit Monaten fahndet eine interne Ermittlungsgruppe ebenso fieberhaft wie vergeblich nach der Quelle, die da so munter sprudelt. Mitte Januar 1994 hatte die Bundesanwaltschaft sogar eine zehnköpfige Staatsschutzabordnung der Münchner Polizei in Bewegung gesetzt, um bei Focus nach Hinweisen auf den im BKA vermuteten Maulwurf zu forschen.
Am Arbeitsplatz des zuständigen Redakteurs, Josef Hufelschulte, wurden die ungebetenen Gäste fündig. Unter anderem stießen sie auf Kopien der Angebotsliste, mit der die anonymen Nachrichtenhändler die Burda-Truppe im Sommer 1993 geködert hatte. Richtig glücklich machten die Funde die ermittelnden Staatsanwälte jedoch nicht. Denn erstens konnte der Informant auch nach dem Redaktionsbesuch nicht enttarnt werden. Zweitens verwirrte die spontane Reaktion des offensichtlich überraschten Focus-Redakteurs die ungebetenen Gäste: Er verstehe die ganze Aufregung nicht, versicherte Hufelschulte dem die Aktion leitenden Staatsanwalt, seines Wissens sei sein Informant im BKA bekannt. Mehr noch, das Amt habe der „Focus- Redaktion sogar ein Tauschgeschäft vorgeschlagen“.
Wie auch immer, die Durchsuchungsaktion in München machte auf Anonymus wenig Eindruck. Nur Tage später zündete der unbekannte Informant ungerührt den nächsten Sprengsatz gegen die Bundesanwaltschaft – diesmal und auch später jedoch ohne jede „Honorarforderung“. Wieder ging das Unheil von Referat TE 11 aus, das die Karlsruher Oberankläger seit Bad Kleinen als „ausgesprochenen Störfaktor“ im Kampf gegen den Linksterrorismus identifiziert hatten. Ein Kriminalhauptkommissar des Referats hatte sich — angeblich ohne Auftrag von oben — den Inhalt zweier Kassiber der RAF- Gefangenen Eva Haule vorgenommen, die der Staatsschutz schon 1990 bei einer Zellenrazzia unter der Wäsche einer anderen Inhaftierten aus der RAF hervorgekramt hatte.
Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft überführten die beiden Schriftstücke Haule der Beteiligung an einem RAF-Anschlag auf die US-Airbase in Frankfurt (zwei Tote) und die vorangegangene Ermordung des amerikanischen GIs Edward Pimental im August 1985. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte die entsprechende Mordanklage akzeptiert, die Hauptverhandlung war bereits in vollem Gange, als Referat TE 11 Mitte Dezember 1993 querschoß. Die Kassiber, so das Ergebnis der zunächst geheimen BKA-Analyse, enthielten „keinen Beleg“ für die Beteiligung Haules an der Terroraktion. Damit stand der Prozeß in Frankfurt auf der Kippe. Zu allem Überfluß lobte die Gruppenleiterin TE im BKA, Brunhilde Spies-Mohr, das Ergebnis als „nachvollziehbar“.
Die Karlsruher Ankläger tobten, ultimativ verlangten (und erhielten) sie ein Gegengutachten ebenfalls aus dem BKA und zitierten dessen Präsidenten Hans-Ludwig Zachert am 11. Januar 1994 zum Rapport nach Karlsruhe. Dort, wußte der Spiegel zu berichten, sei Zachert „zusammengefaltet worden wie ein Umzugskarton“. Es nutzte nichts: Neun Tage später stand die Geschichte unter dem Titel „BKA-Gutachten durchkreuzt RAF-Prozeß“ in der taz. Tags drauf eskalierte der von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt mit ritueller Inbrunst ausgefochtene Behördenkrieg. Der Ankläger im Haule Prozeß, Oberstaatsanwalt Klaus Pflieger, prangerte vor Gericht die fortgesetzte Illoyalität des BKA öffentlich an. Der Kompetenzstreit, traditionell Ausgangspunkt des immer wieder aufgelegten Stücks Bundesanwaltschaft gegen BKA, tobte seit Bad Kleinen auch innerhalb der Kriminalbehörde — und wurde zum Auslöser der „Wiesbadener Krankheit“. Jedenfalls legen diese Lesart die von Frustration und Verbitterung zeugenden Anschreiben nahe, die die indiskreten Materialsendungen an taz, Focus und Stern regelmäßig begleiteten.
Im BKA selbst war der Streit in dieser Zeit zu einem regelrechten „Kampf zweier Linien“ eskaliert. Kriminaloberrat Karl B. und sein Referat TE 11 verlangten nach mehr Eigenständigkeit bei ihrer Analysetätigkeit und „Intelligence Arbeit“ in Sachen Linksextremismus, während die Spitze der Anti- Terror-Abteilung an der hergebrachten Amtsphilosophie — und damit an klassischen Polizeiaufgaben wie Asservatenauswertung und Gefahrenabwehr — festhielt. Die Position von TE 11 verschärfte zwangsläufig den Konflikt mit der Bundesanwaltschaft: Die Terrorfahnder im BKA wollten mehr sein als die Unterabteilung Kriminaltechnik für die Karlsruher Oberankläger, die Bundesanwaltschaft wollte eben dagegen Dämme errichten.
Zurück zu Rudolf Müller. Die BKA-Spezialisten stellten rasch fest, daß die von ihrem „Vertrauensjournalisten“ herbeigeschafften Unterlagen zwar Hinweise gaben auf mögliche Maulwürfe in den eigenen Reihen; einen Durchbruch freilich bedeuteten die Papiere nicht. Also ging man noch einmal auf den „hinweisgebenden Journalisten“ zu — und verlangte nichts weniger als eine journalistische Todsünde. Müller, so die Bitte, möge zusätzlich die Originalkopien nebst frankierten Briefumschlägen, die Anonymus an den Stern adressiert hatte, beibringen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt entpuppte sich Müller als eine Art Westvariante des Inoffizellen Mitarbeiters (IM) realsozialistischer Prägung. Denn statt den unsittlichen Antrag empört zurückzuweisen, verlangte der Stern-Mann vom Vizepräsidenten des BKA, Bernhard Falk, erneut das Versprechen der absoluten Vertraulichkeit seiner Aktivitäten. So geschah es. Umgehend nahm der Korrespondent nun Kontakt zu seiner Redaktionszentrale in Hamburg auf, wo die Originalpost nach wie vor lagerte. Auch dort klingelten, schenkt man späteren Einlassungen Müllers Glauben, keineswegs die Alarmglocken. Im Gegenteil: Anscheinend ohne weitere Nachfragen packten die Hamburger alles zusammen und schickten es an ihre Frankfurter Dependance. Am 29. März 1994 reichte Müller das erbetene Päckchen, wie schon zuvor, bei BKA-Sprecher Terstiege rein.
Die Erklärung für seine eigentümlichen Aktivitäten vertraute Müller im Verlauf eines seiner BKA-Besuche Amtsvize Falk an. Der „hinweisgebende Journalist“, erläuterte später der in der Sache ermittelnden Staatsanwaltschaft in Wiesbaden, vermute hinter den in quälender Regelmäßigkeit an die Öffentlichkeit lancierten BKA- Analysen eine strategische „Operation der RAF zur Spaltung der Sicherheitsbehörden“. Dazu gebe es nach seiner Überzeugung „ein Zusammenwirken zwischen einem BKA-Beamten des höheren Dienstes mit einer Person des sogenannten RAF-Umfeldes“. Deliriert da ein notorischer Verschwörungstheoretiker im fortgeschrittenen Stadium oder ganz banal jemand, der angestrengt nach Rechtfertigungen für seinen journalistischen Tabubruch sucht?
Im BKA jedenfalls läuft nach Müllers zweiter Materiallieferung die kriminaltechnische Maschinerie auf Hochtouren. Der Toner auf den Stern-Kopien wird untersucht, nach Kopiereigenheiten gefahndet. Die BKA-interne Task Force sammelt sämtliche Stempel der Behörde mit der Aufschrift „VS vertraulich — Nicht gerichtsverwertbar“ ein, weil ein lancierter, angeblich „totalgefälschter“ Vermerk zur Zwangsversetzung des Referatsleiters Karl B. diesen Aufdruck trägt. So soll die Quelle lokalisiert und überführt werden. Am Ende belasten die Untersuchungen die Quertreiber aus dem Referat TE 11, doch sie überführen niemanden.
Den entscheidenden Hinweis entdecken die Ermittler, als sie sich dem von Stern-Müller herbeigeschafften Briefumschlag mit Poststempel vom 1. August 1993 vornehmen. Auf einer Briefmarke entdecken sie „Speichelanhaftungen“. Die BKA-Spitze verlangt daraufhin Speichelproben und Fingerabdrücke von fast drei Dutzend TE 11 Mitarbeitern und einem leitenden Beamten. Als einige nicht spuren wollen, zwingt sie Ende Oktober 1994 ein Beschluß des Landgerichts Wiesbaden zum Wohlverhalten.
Für Kriminaloberrat Dirk L., selbst Autor des Auswertungsberichts, der den Spitzel Klaus Steinmetz der RAF-Mitgliedschaft überführen sollte, bedeutet der Beschluß das voraussichtlich endgültige Ende seiner BKA-Karriere. Sein Speichel stimmt mit den Spuren auf der Briefmarke überein. Außerdem findet sich auf dem von Müller retour gelieferten Steinmetz-Bericht ein Fingerabdruck, der ebenfalls Dirk L. zugeordnet werden kann.
L., sein früherer Vorgesetzter Karl B. Und der für die Haule- Auswertung verantwortliche Kriminalhauptkommissar Theo B. gelten von nun an BKA-intern als praktisch überführt. Anfang 1995 durchstöbern Suchtrupps des hessischen Landeskriminalamts die Wohnungen des Trios und ihre Büros in der Bundesbehörde. Viel Gerichtsverwertbares kommt bei der Aktion jedoch nicht heraus. Im Sommer 1995 stellt die Staatsanwaltschaft Wiesbaden die Ermittlungen gegen Kriminaloberrat Karl B. Und Kriminalhauptkommissar Theo B. ein. Dirk L. dagegen bleibt, bei halben Bezügen, vom Dienst suspendiert. Ein Zustand, der bis zum heutigen Tag andauert.
Am 19. Januar 1995 nimmt IM Rudolf die Durchsuchungsaktion bei den drei Beamten zum Anlaß, endlich im eigenen Blatt über die „Wiesbadener Krankheit“ zu berichten. Titel seines Beitrags: „Verraten und verkauft“. Der Autor zeigt sich, was Wunder, gut informiert, berichtet ausführlich über die mühsamen Versuche des BKA, „die Verräter in den eigenen Reihen“ zu überführen. Unter anderem mit Hilfe eines aus Speichelspuren erstellten „genetischen Fingerabdrucks“. Müller muß erklären, wo das genetische Material herkommt — und greift zu einer dreisten Notlüge. Auf den entscheidenden Hinweis, erfährt der Leser des Stern, seien die Ermittler bei der Durchsuchung der Focus- Redaktion gestoßen. Unter den in München aufgefundenen Originalunterlagen, schreibt Postbote Müller, „war offenbar ein Umschlag, den die anonymen Absender mit ihrer Spucke zugeklebt haben“. Entgegen den sonstigen Gepflogenheiten des Stern ist der Beitrag nicht namentlich gekennzeichnet.
Doch womit weder die amtsinternen Ermittler noch der zuständige Wiesbadener Oberstaatsanwalt Wolfgang Greth gerechnet hatten: Die Betroffenen, insbesondere der schwer belastete Dirk L., setzten sich in der Folgezeit mit fulminanten Schriftsätzen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Gegenstrafanzeigen zur Wehr. Die These des Hauptbeschuldigten lautet: Mit einem professionell eingefädelten Komplott seiner amtsinternen Widersacher werde versucht, ihm die Sache anzuhängen. Damit sollten auch von Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz vorgenommene Retuschen an der wahren Rolle des V-Mannes Klaus Steinmetz in der RAF gedeckt werden. Von Anfang an seien deshalb gezielt falsche Spuren gelegt worden, um das störrische Referat TE 11 zu zerschlagen und die Wortführer aus dem Amt zu treiben.
In der Tat spricht vieles dafür, daß die Medien nach Bad Kleinen aus unterschiedlichen Quellen mit Staatsschutzinterna versorgt wurden. Längst nicht alle lancierten Unterlagen stammten aus dem Bundeskriminalamt oder sie waren auch anderen Behörden zugänglich. Und Focus veröffentlichte auch dann noch munter immer neue Indiskretionen, als die angeblichen BKA-Informanten längst unter massivem Verdacht standen und kaum mehr liefern konnten. Unter den in der Münchner Redaktion beschlagnahmten Papieren fanden sich auch Aufzeichnungen über vom Staatsschutz abgehörte Gespräche des V-Mannes Steinmetz mit den RAF-Aktivisten Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld, teilweise mit „wörtlichen Gesprächswiedergaben“, wie es in einem internen Bericht heißt. Darüber hinaus wurden Notizen des zuständigen Focus-Redakteurs gefunden, wonach „maximal sechs hochrangige Personen im Bereich BKA/BMI/BfV“ über diese streng geheimen Informationen verfügten. BMI steht für Bonner Innenministerium, BfV für Bundesamt für Verfassungsschutz – auch dies ein Hinweis auf Quellen außerhalb des BKA.
Noch ein anderer Umstand brachte in dem nur scheinbar klaren Fall den ermittelnden Wiesbadener Oberstaatsanwalt Wolfgang Greth, gegen den sich eine der Dienstaufsichtsbeschwerden der verdächtigten BKA-Beamten richtete, in die Bredouille. Aus dem Briefumschlag, auf dem sich Dirk L's Speichelanhaftungen fanden, war — angeblich wegen der dem Journalisten M. zugesicherten Vertraulichkeit — das Adreßfeld herausgeschnitten. Es konnte sich also um einen beliebigen, von L. verschlossenen Umschlag handeln. Noch dazu hatten nur die hauseigenen Kriminaltechniker des BKA die Speichelanhaftungen analysiert, die L. zum Verhängnis werden sollten. Als sich der Betroffene gegen das „Parteigutachten“ zur Wehr setzte, verlangte auch die Staatsanwaltschaft eine unabhängige Überprüfung — doch da waren die Speichelspuren ausgegangen.
Schließlich forderte Greth das BKA ultimativ auf, den Zeugen M. gegenüber der Staatsanwaltschaft zu outen. Er allein könne bezeugen, daß der fragliche Briefumschlag tatsächlich den Weg über die Redaktion einer Hamburger Illustrierten zurück ins BKA gefunden habe. „Der hinweisgebende Journalist“, jammerte schon halb auf dem Rückzug ein hoher BKA- Beamter, „wäre aufgrund der Nichteinhaltung der Vertraulichkeitszusage zu weiteren Infos wahrscheinlich nicht mehr bereit“. Alles vergeblich. Die Staatsanwälte wollten den Hauptbelastungszeugen persönlich befragen. Am 25. Februar 1995 gab Rudolf Müller seine Geschichte in Wiesbaden zu Protokoll.
Anfang Juli 1996 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Dirk L. beim Landgericht Wiesbaden – wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen und wegen Bestechlichkeit. Die Klage steht und fällt mit dem „genetischen Fingerabdruck“, gewonnen aus dem Speichel an der Briefmarke, die Müller Ende März 1994 ins BKA zurücklieferte. Sollte das Landgericht die Anklage zulassen, wäre dies ein schöner Erfolg — für Rudolf Müller und den Stern. Die Redaktion in Hamburg kann sich aber trösten. Müller gehört nicht mehr zur Truppe. Nach fast zwanzig Jahren feuerte Chefredakteur Funk seinen Frankfurt-Korrespondenten im Sommer 1995 fristlos. Müller hatte sich beim Baulöwen Jürgen Schneider heimlich ein Zubrot als Imagelifter verdient, bevor der in den USA untertauchte. Just in der Woche, als der untergetauchte Super-Bankrotteur die Schlagzeilen beherrschte, bejubelte das Magazin Schneider („geschätztes Vermögen: acht Milliarden Mark“) als spendierfreudigen Mäzen. Autor Rudolf Müller kassierte für seinen Nebenjob nach Angaben des Stern binnen weniger Monate schlappe 448.000 DM. Aber das ist eine andere Geschichte.
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