: "Die Nation hat mich verdient"
■ Im Fernsehen ist sie nur noch in Wiederholungen zu sehen, jetzt tourt sie mit einem Soloprogramm: Hella von Sinnen über Berlin, Hera Lind, die Frauenbewegung und Witze, die jede Frau parat haben sollte
Als Shirley-Temple-Verschnitt in der „Mini-Playback-Show“, als Heike die Eizelle in einem lesbischen Unterleib oder weiblicher Tom Gerhard: Knappe drei Stunden lang schlüpft Hella von Sinnen in ihrem Soloprogramm „Ich bremse auch für Männer“ von einer Damenfigur in die nächste. Dazwischen bleibt gerade mal etwas Zeit zum Umziehen und für Plaudereien über die Gummersbacher Jugendzeit und wie das Leben so ist als Medienstar und als Gattin von Cornelia Scheel. Noch bis Samstag gastiert Hella von Sinnen mit ihrem Mix aus Comedy, Kabarett und Karnevalssitzung im Tränenpalast. Wir trafen die Kölner Entertainerin und Schauspielerin in ihrem Hotel. Mit dabei: Cornelia Scheel.
Hella von Sinnen(noch etwas zerstreut): Das Hotel ist ja zwar recht hübsch, aber technisch hat das so seine Tücken. Wir kriegen oben im Zimmer den Videorecorder nicht an. Der nimmt einfach nicht auf.
taz: Dies ist dein erstes Gastspiel in Berlin. Wie fühlt man sich da, vor dem angeblich so kritischen Berliner Publikum?
Ich lese sehr gerne Biographien, sowohl was das Kabarett als auch die Anfänge des Films betrifft – Valeska Gert, Marlene Dietrich, Claire Waldoff. Und Berlin ist einfach eine Stadt, wo in den 20er und 30er Jahre die Post abging. Ich assoziiere mit Berlin unheimlich viel kulturelle Tradition. Es ist so eine sentimenale, verklärte Art des Lampenfiebers, daß ich in einer Stadt, in der so viele großartige Menschen schon Kultur gemacht haben, nun dabei sein darf.
Wie nimmst du das Kulturleben hier in der Stadt wahr?
Berlin steht natürlich seit der Wiedervereinigung in allem ungeheuer im Fokus. Ich denke, Berlin kann erst einmal alles nur falsch machen. Ich persönlich bin nicht so richtig kulturinteressiert. Auch in der Zeitung lese ich eher das Vermischte und die Sportseite. Ich bin auch nicht oft im Theater. Wir waren im ... welches Theater hat zugemacht? Das Schiller Theater? Da waren wir und haben unsere Namen auf irgendwelche Pamphlete geschrieben, und das fanden wir ganz dufte solidarisch.
Aber ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was hier läuft in Berlin, wie das die Bevölkerung aufnimmt, was die Politiker machen. Für mich ist und war Berlin einfach immer eine großartige Stadt. Und immer, wenn ich hier war, hatte ich dieses besondere, aufgeregte Gefühl, rein emotional. Das habe ich andernorts so nicht, auch in Köln nicht.
Als Nicht-Rheinländer denkt man bei Köln ja zunächst immer erst einmal an Karneval.
Der Karneval ist aus Köln eben nicht wegzudenken, auch nicht aus dem kulturellen Leben und dem des Amüsements. Wenn wir morgens um fünf im Klein-Köln sitzen, was eine Zuhälter- und Boxerkneipe ist, und mit den Kollegen von „RTL Samstag Nacht“ absaufen und jemand in der Musikbox Bläck Föös drückt, da sitzen wir aber alle da und singen ganz heftig mit! Das ist etwas, was wir sicherlich anderen Städten voraushaben, dieses kollektive „Wir sind alle so lecker kölsch“-Gefühl.
Statt in einer großen Fernsehshow bist du jetzt auf Solotour. Ist das eine bewußte Entscheidung, um nicht ständig im Rampenlicht zu stehen?
Das war keine bewußte Entscheidung. Sie kam über mich. Das war eher so: Ich saß zu Hause und sagte. „Hallo? Kann mal bitte einer kommen?! Es gibt ja überhaupt keine Pläne.“ Aber irgendwie muß ja die Miete bezahlt werden, und da habe ich mit Claus Vinçon und Cornelia dieses Solo ausgeheckt. Ich war am Anfang immer noch ein bißchen knatschig, weil ich im Fernsehen nicht mehr so präsent war. Das hat mein Ego ganz schön irritiert. Das Tolle ist, ich laufe auf Super RTL immer noch dreimal täglich mit Wiederholungen von „Alles Nichts Oder!?“! Ich kriege dafür zwar keinen Pfennig Geld, aber ich bin in der Glotze!
Ist das Theatertingeln nun ein Abstieg in der Karriere?
Mir fiel erst jetzt auf, wie gut mir das tut: live mit Publikum zu arbeiten, und hinter jedem Sketch, den ich spiele, kann ich stehen, der ist ausgearbeitet, jedes Wort sitzt. Da wird nichts geschnitten, da kommt kein Werbeblock. Ich habe zweieinhalb Stunden auf der Bühne reine Authentizität. Ich will jetzt nicht den Ausdruck „entfremdet“ in die taz werfen, weil, so politisch bin ich nicht. Aber die Arbeit im Fernsehen ist schon eine andere Baustelle.
Aber du hast Sehnsucht nach dem Fernsehen ...
Ich möchte Fernsehen machen, weil ich es einfach besser kann als andere. Ich finde, daß die Nation verdient hat, mich auf dem Fernsehschirm zu sehen. Ich merke ja, wie die Leute zu mir ins Theater kommen. Das ist eine recht bunte Mischung, das ist natürlich die Familie, die Schwulen und Lesben; das ist aber genausogut auch die gestandene Hausfrau, Mitte fünfzig, Konfektionsgröße 48, die einfach jubelt, dat die dicke Frau mal in ihre Stadt kommt, weil sie sie im Fernsehen nicht mehr sieht. Ich merke, daß die Leute mich wirklich vermissen. Manchmal komme ich auf die Bühne und kriege einen Auftrittsapplaus wie Willy Millowitsch – bevor ich auch nur einen Satz gesagt habe, nur weil ich da bin. Dann stehe ich etwas verlegen da und freue mich natürlich.
Lesben und Humor, sagt man, seien zwei Dinge, die nicht zusammengehen. Außer dir fällt mir nur noch Maren Kroymann als offen lesbische Kabarettistin ein.
Schreib bitte in deinen Artikel: „Darauf lachten Cornelia und Hella herzlich“! Ich bin keine schauspielernde Lesbe, sondern ich bin Komödiantin, Schauspielerin, Komikerin, Kabarettistin und eben auch lesbisch. In meinem Soloprogramm ist das nicht zweieinhalb Stunden Thema. Das wird erwähnt, und dann gibt auch jene Zuschauerinnen, die besonders laut klatschen oder kreischen, weil sie sich freuen, daß jemand offiziell auf der Bühne dazu steht und seine Späßken damit macht. Die Heteros im Publikum lachen auch, aber nicht weil es lesbisch, sondern weil es komisch ist. Ich persönlich habe sehr viele lesbische Freundinnen, mit denen wir sehr herzhaft ablachen, und darunter sind populäre Frauen, die sich nur noch nicht geoutet haben. Aber in der Tat sind Maren Kroymann und ich die einzigen, die dazu stehen.
Der gemeine Heteromann hat Blondinenwitze ...
... den habe ich auch auf der Bühne, den obligatorischen. Darüber können wir Lesben auch lachen, vor allem wir mit den blondgefärbten Haaren.
Gibt es denn so was wie den emanzipierten Frauenwitz?
Natürlich, das ist immer schön, wenn man den in petto hat, wenn die Otto-Normal-Verbraucherin am Stammtisch sitzt, und da kommen nur frauenfeindliche Witze rüber. „Warum gibt es überhaupt Männer? – Weil Dildos keinen Rasen mähen können.“ Oder: „Warum schlagen Hebammen den Neugeborenen mit der Hand auf den Hintern? – Den intelligenten fallen die Schniedelchen ab.“ Ich denke, daß das eine Phase ist, wie mit Mantafahrerwitzen. Vielleicht aber ist die Tatsache, daß derzeit so viele Witze gegen Männer kursieren, auch ein Anzeichen für erwachtes Entertainerinnen-Selbstvertrauen.
Wie ist dein Verhältnis zur klassischen Frauenbewegung? Um es böse männlich und klischeehaft zu sagen: Bist du nicht zu frech, witzig und eigen, um bei der Frauenbewegung nicht überall anzuecken?
Das ist in der Tat böse männlich. Das ist sogar eine Unverschämtheit. Ich bin mit der Frauenbewegung groß geworden. Ich gehöre zu denen, die Emanze immer noch nicht als Schimpfwort empfinden, sondern als Auszeichnung. Und ich gehöre auch zu denen, die sagen: Wir sind immer noch nicht wirklich emanzipiert.
Es gibt ja eine sonderbare Gruppe von Frauen, wie Hera Lind, die sagt: „Warum jammert ihr eigentlich? Wir haben doch alles, wir können doch alles. Ich zum Beispiel habe drei Kinder, einen Mann, den ich nicht geheiratet habe, bin Bestsellerautorin, Sängerin, Flötistin, und Domino spielen kann ich auch.“ Das ist für mich eine etwas seltsame Form von Politik. Das ist einfach Scheiße! Das stimmt einfach nicht! Frauen verdienen immer noch nicht soviel Geld wie Männer. Täglich werden Frauen Opfer männlicher Gewalt, kriegen eine in die Fresse oder werden vergewaltigt. Wir haben keine emanzipierte Gesellschaft. Und ich werde nicht aufhören, dies anzuklagen. Und was die Originalität anbetrifft und daß ich auch gerne Lippenstift trage: Wir hatten auch damals schon eine Fraktion von Lesben, die hatten geschminkte Lippen und trugen Highheels, und die andern in ihren Clocks und lila Latzhosen fanden das scheiße. Soviel zu den Klischees.
Aber gibt es denn die klassische Frauenbewegung eigentlich noch?
Leider nein. Die Frauen haben sich zurückgezogen und sich mit Astrologie, Hexen und Magie beschäftigt, aber sich politisch nicht mehr zusammengerauft. Es gäbe genügend Gründe für die Frauen, wieder auf die Straße zu gehen. Der Paragraph 218 ist zum Beispiel immer noch nicht abgeschafft. Aber Alice Schwarzer hat auch keinen Bock mehr und schreibt lieber die Biographie der Gräfin Dönhoff. Sie ist einfach müde und hat es auch satt, was ich auch gut nachvollziehen kann.
Kommt dir bei der ganz jungen Generation, bei den Girlies, dann nicht die Galle hoch?
Nö, überhaupt nicht. Da wird nämlich allerhand in diese Girlies hineinprojiziert. Es gibt ja auch genügend Girlies, die es zum Kacken finden, Girlie genannt zu werden. Sie sind einfach nur selbstbwußte Frauen, die sich Knobelbecherschuhe anziehen, Zöpfchen flechten und die Mode schick finden. Ich persönlich finde es klasse, wenn eine Gruppe wie Tic Tac Toe in ihren Rap-Texten richtig auf die Kacke haut und den Männern sagt, wo der Most steht. Ich finde, da ist eine ganz tolle Generation von selbstbewußten Frauen herangewachsen. Und ob die nun Girlies oder junge Emanzen genannt werden, ist mir egal. Ihr Journalisten braucht eben immer irgendwelche Schubladen, damit ihr was zu schreiben habt. Dann sind das nun eben die Girlies und wir die alten Emanzen.
Tatsache ist: Wir sind Frauen, wir sehen gut aus, wir sind selbstbewußt, sind intelligent, wir riechen besser, können besser autofahren. Es ist einfach schön, eine Frau zu sein, und das kriegen diese jungen Dinger eben auch mit.
(Die Hotelangestellte betritt die Lobby)
Hella von Sinnen: Ach, wissen Sie, was oben in unserem Zimmer mit dem Videorecorder geworden ist?
Hotelangestellte: Jemand hatte das Antennenkabel herausgezogen, und deshalb konnte man da auch nichts empfangen.
Hella von Sinnen: Und jetzt habt ihr es wieder reingestöpselt?
Hotelangestellte: Ja, und auch gleich auf Sofortaufnahme gedrückt. Aber es fehlen nun leider die ersten fünf Minuten.
Cornelia Scheel (ziemlich entsetzt): Ach Gott! Der Mord fehlt!
Hella von Sinnen: Liebling, du mußt jetzt ganz tapfer sein und mir vertrauen. Bei „Colombo“ sind die ersten fünf Minuten immer langweilig, und der Mord, der kommt frühestens nach zehn Minuten. Interview: Axel Schock
Hella von Sinnen: „Ich bremse auch für Männer“. Bis 12.10., 20 Uhr, Tränenpalast
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