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Kurzatmige Geschichte

■ "Die Elsässer": Eine deutsch-französische Familiensaga (Teil 1, 20.45, arte)

Wer allzu forsch durchs Leben reitet und vor soldatischem Eifer die eigene Frau vergißt, der hat im Film meist nicht sehr lange zu leben. So kommt es, daß Hauptmann Charles de la Tour im Deutsch- Französischen Krieg von 1870 bei Sedan von einem Granatsplitter zerfetzt wird. Seine junge Frau Mathilde, Tochter eines elsässischen Rüstungsfabrikanten, ist jedoch von ihm schwanger. Die Elsaß-Saga im kleinen Dorf Alsheim nimmt ihren Lauf.

Das idyllische Elsaß sei schon oft Kulisse für Filme aller Art gewesen, aber noch niemand habe sich daran versucht, die pralle Geschichte des Elsaß in Film oder Fernsehen zu erzählen, heißt es im Begleitheft zum arte-Vierteiler „Die Elsässer“ von Michel Favart, der in mutiger Grobmalerei die wechselvolle Geschichte des mal französischen, mal deutschen Landstriches zwischen 1870 und 1953 darstellt. Im Zentrum der Handlung steht die Freundschaft der Fabrikantenfamilie Kempf und der preußischen Aristokratenfamilie von Wismar-Marbach, die durch drei Kriege und wechselnde nationale Zugehörigkeit immer wieder auf eine harte Probe gestellt wird. Durch den Tod ihres Mannes Charles wird Mathilde zur französischen Widerstandskämpferin gegen die deutsche Annektierung des Elsaß und kann doch nicht verhindern, daß ihr Sohn Louis die Tochter eines Preußen heiratet. Die Kempfs haben nicht nur an ihrer Familiengeschichte zu tragen, sondern auch an der Last, im Film einen elsässischen Mikrokosmos repräsentieren zu müssen.

Das Hunsrück-Epos „Heimat“ von Edgar Reitz hat bei den „Elsässern“ unverkennbar Pate gestanden. Mathilde Kempf (als junge Frau gespielt von Cécile Bois und als ältere von Aurore Clement) ist in ihrer Wehrhaftigkeit ganz nach der „Heimat“-Mutter Maria geraten. Autor Michel Deutsch, der für das Buch, gemeinsam mit Henri de Turenne, auf eigene Familienerfahrungen zurückgreifen konnte, macht kein Hehl daraus, daß das Reitz-Epos ein Auslöser für die „Elsässer“-Verfilmung war.

Das wäre gewiß kein Makel, aber leider hat die arte-Produktion, die von französischen und deutschen Anstalten koproduziert wurde, nicht den langen Atem der Hunsrück-Geschichte. 83 Jahre bewegender und tragischer Regionalgeschichte, untergebracht in vier Sendehäppchen à 90 Minuten, verlangen vom Zuschauer nicht weniger Konzentrationsvermögen als die 107 Drehtage von den Akteuren.

Die Dramaturgie ist arg holzschnittartig, und bei dem Bemühen, Geschichte zu transportieren, bleiben Überraschungsmomente meist auf der Strecke. Weil die Auswirkungen der großen Politik auf die Provinz sichtbar gemacht werden sollen, bürdet man den lokalen Helden staatstragende Verlautbarungen auf. Wenn doch die beiden Länder sich nicht gegenseitig des anderen bemächtigen würden, seufzt einmal Baron Kempf, der als Waffenproduzent zwar am Krieg verdient, aber im Grunde seines Herzens ein friedliebender Konservativer ist. Graf Edwin von Wismar-Marbach outet sich gleich zu Beginn als Liebhaber und Kenner französischer Philosophie, was ihm im Verlauf der Geschichte, man ahnt es schon hier, bei seinen politischen Entscheidungen nicht helfen wird.

Der Film erzählt die Geschichte einer an der Politik scheiternden Normalisierung. Der Riß geht durch die Familie. Im Ersten Weltkrieg kämpfen Verwandte in verschiedenen Armeen, und nach der Wiedereingliederung des Elsaß in Frankreich müssen die Liebenden Louis Kempf und Frederike von Wismar ins Exil. Was bei Edgar Reitz' „Heimat“ zu fesseln vermochte, war weniger das Ausholen zum großen historischen Wurf. Im langsamen Fließen der Zeit wurde Schabbach zu einem lebendigen Dorf. Alsheim bleibt leider immer nur flüchtige Skizze. Harry Nutt

2. Teil, Samstag, 12. Oktober, 20.45; 3. Teil, Freitag 18. Oktober, 20.45 Uhr; 4. Teil, Samstag, 19. Oktober, 20.45 Uhr

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