piwik no script img

Suche nach den Wurzeln

■ An der Grenze zwischen Historie und Altenarbeit angesiedelt: Die Galerie Morgenland – Geschichtswerkstatt in Eimsbüttel Von Andreas Albert

Der größte Erfolg war die Ausstellung Eimsbütteler Facetten: ein Überblick über hundert Jahre Stadtteilgeschichte. Eimsbüttel und seine BewohnerInnen: Krämer und Höker, Schlachter und Bäcker, Schuster und Schüler, Maurer und Zimmerleute. Alltag und Politik – Antisemitismus zum Beispiel. Eine Broschüre mit dem gleichen Titel ist noch zu haben. Herausgeber: die Galerie Morgenland, Geschichtswerkstatt und kulturelles Zentrum in Eimsbüttel.

Die Galerie, getragen von den etwa 70 Mitgliedern des Vereins Morgenland, beherbergt neben der Geschichtswerkstatt noch eine Kulturgruppe, die Ausstellungen von KünstlerInnen organisiert, und eine Literaturgruppe, die sich regelmäßig trifft und gemeinsam liest und diskutiert. „Die Zusammensetzung hat sich aus der Geschichte der Einrichtung ergeben“, sagt Patrick Wagner, promovierter Historiker und einziger Festangestellter der Galerie.

Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre entstanden in allen größeren Städten Geschichtswerkstätten. Zielsetzung: Geschichte aus der Perspektive der kleinen Leute betrachten, „von unten“ also. Dabei waren die Konzepte unterschiedlich; während sich etwa in Berlin eine Zentrale institutionalisiert hat, wird in Hamburg auf Stadtteilebene gearbeitet. Die Ansätze gehen dabei von der klassischen Heimatforschung bis zur Verbindung mit der aktuellen Politik im Stadtteil, manchen Initiativen wiederum geht es vorrangig darum, Archive zu erstellen.

Von der aktuellen Politik bis zur klassischen Heimatforschung

Die Geschichtswerkstatt Eimsbüttel bietet dabei das dichteste Veranstaltungsprogramm. Sie wendet sich mit ihren zahlreichen Veranstaltungen sowohl an die StadtteilbewohnerInnen als auch an Initiativen und historisch Interessierte jenseits der Bezirksgrenzen. So gab es Veranstaltungen zur Verkehrsgeschichte in Hamburg ebenso wie Gespräche mit Psychologen über Täter und Opfer des Nationalsozialismus. Im Mai soll gar eine Veranstaltung zum Fußballverein Borussia Dortmund stattfinden, in deren Mittelpunkt nicht unbedingt die Vereinsgeschichte stehen wird.

Die Geschichtswerkstatt Eimsbüttel besteht seit Anfang der 80er Jahre, ihre erste Veröffentlichung war die Broschüre Kennen Sie Eimsbüttel, mit der die BewohnerInnen des Stadtteils aufgefordert wurden, sich mit der Geschichte ihres Umfeldes auseinanderzusetzen. Bis heute veröffentlichte die Galerie zwei Bücher, zwei Broschüren und initiierte mehrere Ausstellungen. Das umfangreichste Projekt widmete sich der Erforschung der Geschichte der jüdischen Bevölkerung des Stadtteils. Fast sechs Jahre wurde in Archiven gestöbert, befragte man ZeitzeugInnen. Am Ende stand das Buch Wo Wurzeln waren...: Juden in Hamburg Eimsbüttel.

Zur Zeit ist ein Buch zur Geschichte der Displaced Persons in Arbeit, der während des Krieges nach Hamburg gekommenen oder hierher verschleppten AusländerInnen. Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit der Geschichte Eimsbüttels in den fünfziger Jahren, aus der Sicht der Jugendlichen jener Zeit dargestellt.

„Wir wollen ein Angebot zur kritischen Identifikation mit dem Viertel liefern, wobei die Betonung auf kritisch liegt“, beschreibt Wagner die Zielsetzung der Geschichtswerkstatt. Dabei hat sich mit den Jahren eine Verlagerung des Blickfelds ergeben. Früher stand hauptsächlich die Geschichte des Widerstandes im Mittelpunkt der Forschungen.

Im Blickfeld: Kleinfunktionäre, Mitläufer und Blockwarte

„Es wurde versucht, an die Traditionen der Arbeiterbewegung anzuknüpfen“, so Wagner. Heute widmet man sich besonders den sogenannten MitläuferInnen, den vermeintlich unpolitischen Menschen. Aber auch die Tätigkeit der Kleinfunktionäre, der Blockwarte und Ortsgruppenleiter wird mittlerweile erforscht. Bei den „Klöntreffs“ (alle zwei Wochen) erzählen und diskutieren ZeitzeugInnen. Dabei stoßen die MitarbeiterInnen der Galerie oft auf für sie wertvolle Quellen. Andererseits dienen die Gesprächsrunden auch den TeilnehmerInnen: „Sie werden gezwungen, sich durch die Gespräche mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen“, sagt Wagner. So soll die individuelle Geschichte als Teil der Weltgeschichte verstanden werden.

Die Arbeit in der Geschichtswerkstatt verläuft stark produktorientiert. Wagner sagt es so: „Wir suchen gezielt Themen aus, um sie in Ausstellungen, Broschüren, Büchern oder Videos aufzubereiten.“ Aber es geht auch nicht nur um die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen: „Wir müssen uns auf die Leute einlassen, können sie nicht einfach als Quelle nutzen ohne Gegenleistung.“ Auf den Punkt gebracht: „Wir arbeiten an der Grenze zwischen Historie und Altenarbeit.“

Andreas Albert

Galerie Morgenland, Sillemstraße 79, 20257 Hamburg, geöffnet Dienstag bis Donnerstag von 13 bis 17 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen