: Blumenkübels Rebellionspotential
■ Die meisten Blumenkübel auf Bremens Gehwegen sind nicht genehmigt/ StadtplanerInnen rätseln: Ist das Widerstand gegen die autogerechte Stadt?
Bremens StadtplanerInnen sind einem neuen Typ Mensch auf die Schliche gekommen. Er trägt noch keinen eigenen Namen – aber europäische Züge. Denn wenn der Kleinbürger in der Bremer Neustadt beispielsweise Blumenkübel auf den Gehweg rückt, ist er aus SoziologInnensicht geistig quasi eins mit der Madrider Hochhausbewohnerin, die ihren Stuhl regelmäßig hinunter zwischen Passantenströme schleppt – nur um zu schauen. Das griechische Pendant zur Madrilena hat das Institut „Polis“ der Hochschule Bremen dagegen in der Metropole Athen entdeckt. Auch dort wird in Privatinitiative nämlich allerhand gegen den Autoverkehr und wildes Parken aufgefahren – und damit möglicherweise „der öffentliche Raum zurückerobert“. Private Kübel, Eisenstangen und Zementquader belagern Athens Bordsteine – und ufern manchmal weiter aus. Beispiele davon begeisterten norddeutsche StadtplanerInnen auf dem Symposium „Der öffentliche Raum – Lebenswelt oder Verkehrsfläche?“ gestern besonders.
Daß in einem Athener Stadtteil die Zitronenbäumchen einer privaten Begrünungsinitiative nicht – wie amtlich tatsächlich genehmigt – am Fahrbahnrand, sondern in der Fahrbahnmitte gepflanzt wurden, sorgte für Zuversicht. Doch eigentlich sind die griechischen VerschönerungstäterInnen mindestens so geheimnisvoll wie hiesige private KübelrückerInnen. „Wer sind diese Menschen, was treibt sie an?“, fragt deshalb die Psychologin Sigrun Preuss vom Bremer Polis-Institut; ihrerseits angetrieben von Bundesforschungsgeldern und von dem Bewußtsein, eine aktuelle europäische Forschungslücke zu füllen. Immerhin habe man „schon fast mit einer Massenbewegung zu tun“, behauptet sie ein wenig vollmundig, ein wenig launisch und wartet mit Zahlen auf.
Über 800 kübelrückende HansestädterInnen hat das Forschungsprojekt der Hochschule bereits ausgemacht; die Hälfte davon mit Abitur, die wenigsten davon mit Kindern, dafür ohne Vorgarten – das hat eine Befragung ergeben. Aus der läßt sich auch erschließen, daß mindestens die Hälfte aller KübelaufstellerInnen ohne amtliche Genehmigung handeln – und das findet die Psychologin Preuss „besonders interessant“. Denn hier handeln Menschen in zweierlei Hinsicht gegen den Trend. „Erstens überwinden sie eine Schwelle von Unmut durch eigenes Handeln. Und das ist jedenfalls besser als hinter der eigenen Haustür zu liegen und nichts zu tun.“ Antitrend Nummer zwei: Die KübelmacherInnen leisten der Anonymisierung und Automobilisierung in den Städten eine Art Widerstand – möglicherweise jedenfalls. Denn eigentlich wirken Straßen und Verkehr wie große Barrieren, hinter die sich der Mensch ins Private zurückzieht – statt sein Blumenfenster öffentlich zu erweitern.
Doch noch ist das Forschungsvorhaben nicht beendet. Zweihundert Tiefeninterviews stehen noch aus. Danach wird nicht nur belegt sein, daß über ein Drittel der privaten KübelaufstellerInnen, ein Fünftel davon lediglich MieterInnen, aus Verschönerungswillen handeln – „und nur im Ausnahmefall, um den Nachbarkindern das Fußballspielen zu vermiesen“. Dann werden SoziologInnen auch die Instrumente kennen, mit denen sie mögliche „Rebellionspotentiale“ fördern können. Denn bis jetzt weiß Sigrun Preuss nur, daß 17 Prozent der befragten KübelaufstellerInnen MitläuferInnen sind. Wüßte sie, wie sie einen weiteren Domino-Effekt befördern könnte, dann hätten StadtplanerInnen ein Instrument in Händen. Sie wüßten, wie neue MitstreiterInnen motiviert würden – und die brauchen sie dringend: „Es gibt ein politisches Rollback zugunsten des Autos“, hieß es gestern immer wieder. „Bürger ziehen sich zunehmend aus der Stadtgestaltung zurück. „Vielleicht auch nur hinter neue Blumenkübel“, meldete gestern mancher Zweifel an der Rebellionsthese an. ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen