"Man muß arrogant sein"

■ Talk-Ästhet Roger Willemsen über seine Sendung, Dolly Buster, die Doppelmoral in den Medien und Fernsehpreise, die er nie annehmen würde

taz: Woher rührt eigentlich Ihr Interesse an Personen, die Niederlagen erlitten haben?

Roger Willemsen: Es steckt ein viel sozialeres Moment darin, wenn man eine Person an der Stelle erwischt, wo sie eine Enttäuschung erlebt hat. Darin erkennen sich Menschen immer wieder. Es gibt ganze Karrieren, die darauf aufgebaut haben, zum Beispiel Hildegard Knef als Opferfigur. In ihrer Rolle in die „Sünderin“, ist sie den Menschen viel sympathischer gewesen als die Gewinnerin, die in Amerika Karriere gemacht hat. Oder Harald Juhnke; seine Person ist inzwischen mehr aus Scheitern zusammengesetzt als aus Triumphen.

Welche Menschen interessieren sie noch?

Ich habe daran gehangen, nicht prominente Personen in der Sendung zu haben, um Alltagserfahrungen zu beschreiben. Nicht auf dem Ilona-Christen-Niveau, sondern um präzise zu rekonstruieren. Das ist eine Sache, die funktioniert am Freitagabend nicht, denn da sagt das Publikum und dann auch das ZDF: Vier Prominente, vier Plätze, fertig. Doch ich frage mich, wie ich den Bezug zur Wirklichkeit bewahre, wenn ich nur noch mit Glamour umgehe. So versuche ich im Privaten alte Bande nicht zu zerschneiden, Räume zu betreten, die nicht glamourös sind – was ständig schwieriger wird. Ganz am Anfang bin ich immer in eine Krankenstation gegangen und habe mich dort ins Wartezimmer gesetzt, um zu hören, was die Leute sagen.

Und Ihr persönlicher Erkenntnisgewinn?

Man scheitert ja mit dem Anspruch, den man mal damit verbunden hat, im Fernsehen zu arbeiten: Früher hatte ich eine Stunde für einen Gast. Kein Mensch hat das je gut gefunden, als ich es machte. Ich habe keine einzige gute Kritik dafür bekommen. Inzwischen gehört die Sendung zu den Devotionalien des Fernsehens und alle sagen: Das war eine schöne Sache. In Wahrheit aber wollte es außer mir niemand machen. Ich will einmal wieder diese Form haben, in der man vernünftig, solide und mit Hintergrund redet. Aber statt dessen wird gefragt, ob es denn 50 Leute in Deutschland, gibt, die es wert sind, daß man sie eine Stunde lang befragt.

Sie dürfen beim ZDF generell keine Politiker interviewen, und die Quote muß auch stimmen. Wo ist der Punkt, an dem Sie sagen, da mache ich nicht mehr mit?

Ich habe kürzlich gesagt, wenn die Sendung auch nur einen Millimeter populistischer sein soll, brauche ich sie nicht mehr zu machen. Da gibt es andere Leute, die können so etwas besser. Danach kam sofort das Gerücht auf: Willemsen will zurücktreten. Tatsache ist, daß ich nicht ohne Jazzmusik auskommen will. Genauso wenig werde ich auf internationale Gäste verzichten, weil ich eine dörfliche oder provinzielle Sendung ärgerlich finde. Ich möchte in der Art, wie ich meine Fragen formuliere, so weit frei sein, daß ich meinen Interessen dabei folgen kann. Es gibt offenbar immer noch ein paar Leute, die ähnliche Interessen haben oder ähnliche Fragen stellen würden. Solange das geht, ist es eine sinnvolle Tätigkeit.

Auch weil sie für den Lebensunterhalt Ihrer Mitarbeiter verantwortlich sind?

Du sitzt da und überlegst: Muß Dolly Buster her oder nicht? Dann muß eine Redaktion das Credo haben, zu sagen, in dem Fall gehen wir lieber unter. Es gibt ein paar simple Sachen, die man machen kann, damit die Quote bei einer Million ist: Nur deutschsprachig, Glamour, Sex und Jazz raus. Wir haben uns einmal den Scherz erlaubt, bei einer Live-Sendung, die nachts um zwölf anfing, eine Quoten-Nackte einzuführen. Jedesmal, wenn die durchs Bild ging, stieg die Quote.

Sind Sie arrogant?

Man muß arrogant sein. Ich komme auch ohne eine gewisse Überhebung, ich will nicht sagen Überheblichkeit, über Kollegen oder Sendervorgaben gar nicht aus. Mein einzig richtiges Verhalten Herrn Thoma gegenüber ist Arroganz. Einfach zu sagen, mach deinen Schrott weiter, und ich werde weiterhin einer der wenigen sein, die es öffentlich als Schrott bezeichnen. Es gibt eine Reihe von Fernsehpreisen, die ich nicht annehmen werde, weil ich mich nicht loben lassen will, wenn derselbe Preis schon 19mal an Max Schautzer gegangen ist. Diese Arroganz muß man sich leisten können. Was soll dieses demokratische Gerede, daß wir alle wunderbar sind, und Max Schautzer charismatische Fernsehunterhaltung ist? Nein! Das ist jemand, der kann vom Teleprompter ablesen. So what?

Verliert man durch das Fernsehen die Achtung vor den Menschen?

Der Prozeß der Desillusionierung, was Öffentlichkeit angeht, wird in einer Art und Weise durchs Fernsehen beschleunigt, über den man sich vorher keine Gedanken macht. Die Hauptherausforderung ist, in eine Öffentlichkeit zu treten, die Ihnen in einer Blitzgeschwindigkeit sämtliche Überzeugungen unter den Füßen wegziehen wird. Sie werden innerhalb kürzester Zeit nicht mehr an Ruhm glauben, nicht mehr an Aufklärung, nicht mehr an den Geschlechterkonflikt, nicht mehr an Sexualität und auch nicht mehr an die Haare auf Ihrem Kopf. Es wird Ihnen alles entweder ökonomisch vorkommen oder nichtig. Das ist es, was Sie beim Fernsehen lernen.

Klingt nach Verzweiflung.

Der letzte radikale Standpunkt, den man noch haben kann, ist die Zustimmung zur Zerstörung, weil man sich sowieso damit abgefunden hat. Alles andere ist Augenwischerei.

Roger Willemsen, der Zyniker.

Im Gegenteil, das ist eine hochmoralische Haltung. Ich habe ein Buch geschrieben, „Kopf oder Adler“, in dem ich nur das gute Denken der Deutschen beschrieben habe. Das Buch endet mit einer Position, über die ich mich heute wundere. Ich habe, verkürzt ausgedrückt, gesagt: Wenn man die Wirklichkeit betrachtet, so wie sie ist, dann gibt es keinen vernünftigeren Standpunkt als den der Kritik, weil man sich nur nicht-einverstanden erklären kann, mit dem was ist. Im gleichen Augenblick gibt es keine überflüssigere Haltung oder Handlung als die der Kritik, weil diese nicht gehört wird, keine Resonanz, keine wirklichkeitsumbildende Funktion mehr hat. Also ist der Kritiker das in sich groteske, absurde Individuum. Er tut das Notwendigste und das Überflüssigste im selben Akt.

Gibt es nicht auch Situationen, in denen es sich lohnt, Zivilcourage zu zeigen?

Wenn ich Sie nach einer öffentlichen Person frage, die in jüngerer Zeit einen Akt von Zivilcourage gezeigt hat, werden wir uns beide angucken wie die Goldfische. Es lohnt sich nicht – wer sollte das ma

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chen? Man braucht sich doch nur die Veränderungen in der Medienlandschaft anzusehen: Die erste Amtshandlung von Stefan Aust als neuer Spiegel-Chefredakteur war, den Focus anzurufen und zu sagen: ,Laßt uns das Kriegsbeil begraben, wir können beide auf dem Markt existieren.‘ Als nächstes hat er das Medienressort aufgelöst, weil seine Magzine bei RTL, Sat.1 und Vox laufen. Wie will der Spiegel die denn kritisieren? Die Schnauze kritisiert den Schwanz?! Warum ist denn Frau Schreinemakers fertiggemacht worden, mit 'ner Steuergeschichte, die ziemlich banal ist? Seit zwei Jahren liegt in den Redaktionen von Stern, Spiegel und anderen ein Dossier, das teilweise aus unserer Redaktion kommt, mit einem umfangreichen Aktenvorgang über Lügengeschichten bei Schreinemakers: Geldabzockereien, gefälschte Gäste, gefälschte Themen, alles. Niemand hat diese Geschichten angefaßt. Und dann lese ich im Editorial des Stern: ,Wir dürfen nicht länger schweigen. Frau Schreinemakers hat sich verfehlt.‘ Das ist doch grotesk. Wer schreibt denn die Geschichten, die notwendig sind? Die kriegen sie gar nicht gedruckt, die kriegen sie gar nicht recherchiert, die kriegen sie gar nicht am Justitiar vorbei, geschweige denn gegen den Konzern durchgesetzt.

Sie üben in dem Essay für ihr aktuelles Buch Kritik an den Printmedien: Interviews würden verfälscht, Fernsehinterviews seien unmittelbarer.

Ich habe mal ein Gespräch mit dem Spiegel zurückgezogen, weil da jede einzelne Frage ausgetauscht worden war. Danach hat man irgendwelche beliebigen Antworten von mir drangeklebt. Dabei waren mir die Fragen nie gestellt worden. Statt des Interviews mit mir haben sie dann eins mit Robert Gernhardt gedruckt und der hat hinterher in der Titanic geschrieben, daß es ihm genauso ergangen ist. Im Fernsehen kann jeder überprüfen, ob das eine eine gute Frage ist oder eine doofe. Eine Live-Sendung, die man nicht schneiden kann, ist einfach ehrlicher.

Hat sie mal jemand in ihrer Sendung sprachlos gemacht?

Maria Schell ist einmal am Ende unseres Gesprächs auf mich zugequollen gekommen wie eine Nebelwand und wollte mich küssen. Da wußte ich nicht mehr, wohin ich moderieren muß. Interview: Frank Fölsch