Die sauberen Kollaborateure der Industrie

Französische Firmen verdienten während der deutschen Besatzung mit am Todesgas Zyklon-B – noch immer will es keiner hören  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die delikate Periode zwischen 1940 und 1944, als Frankreich besetzt und in jeder Hinsicht zweigeteilt war, fordert 52 Jahre nach ihrem Ende immer noch Opfer: Dieses Mal hat es eine Historikerin getroffen, die einen Aufsatz über die Kollaboration der französischen chemischen Industrie mit derjenigen des Dritten Reiches geschrieben hat. Annie Lacroix-Riz, Dozentin für Gegenwartsgeschichte an der Universität Toulouse, stellt die These auf, daß französische Unternehmen an der Produktion von Zyklon-B mitgewirkt und mitverdient haben – jenes Gases, das die Nazis in den Vernichtungslagern eingesetzt haben.

Die Arbeit sei „durchaus interessant“, aber nicht repräsentativ und deswegen nicht veröffentlichungsfähig, urteilte die Gutachterkommission der vom Wirtschaftsministerium betreuten Zeitschrift, für die das Werk verfaßt worden war. Eine Mitarbeiterin der einmal jährlich erscheinenden, angesehenen wissenschaftlichen Schrift „Études et Documents“ hatte die Historikerin aufgefordert, ihre bereits auf mehreren Kongressen vorgestellten Thesen über französische Industrie und Banken zwischen 1940 und 1944 zusammenzufassen. Das 62 Seiten lange Resultat mit 361 Fußnoten beschreibt ausführlich und in strenger Wissenschaftlersprache Joint-ventures jener Zeit.

Lacroix-Riz' Auflistung der französischen Unternehmen, die teils unter Druck, meist jedoch bereitwillig, eilig und weitaus weitgehender als die Besatzer es verlangten – so die Autorin – gemeinsame Gesellschaften mit deutschen Unternehmen gründeten, liest sich wie ein „Who's Who“ der heutigen Spitzen des französischen Kapitals. Die Banken „Paribas“, „Crédit lyonnais“ und „Société générale“ sind darin ebenso vertreten wie der Industrieriese „Rhône-Poulenc“. Ein Name allerdings findet sich nicht mehr in heutigen französischen Firmenlisten. Die Chemiegruppe „Ungine“ hat sich seither auf mehrere Gesellschaften mit anderen Namen aufgeteilt.

Im Februar 1941, so die 49jährige Historikerin in ihrem nicht veröffentlichten Bericht, beteiligt sich „Ungine“ an der Gründung des gemischten Unternehmens „Duferrit-Sofumi“, das aus der Fusion von zwei Unternehmen, die Insektenvernichtungsmittel und Salze herstellten, hervorging. 49 Prozent des Kapitals von „Duferrit-Sofumi“ kamen von der deutschen Gesellschaft „Degesch“, die ihrerseits auf den Kampf gegen Parasiten spezialisiert war. Die IG- Farben – Herstellerin und Vertreiberin von Zyklon-B – hielt an der Degesch 42,5 Prozent. Die Mischgesellschaft Duferrit-Sofumi vergößerte ihr Kapital in nur zwei Jahren um ein 15faches.

Die Fragen, ob überhaupt Zyklon-B in Frankreich produziert wurde, ob Duferrit-Sofumi daran beteiligt war und ob das Unternehmen mit eventuellen Exporten ins Reich den immer größeren Bedarf der Nazis an dem Mordmittel deckte, wirft die Historikerin nur auf, beantwortet sie aber nicht. Die Archive, die sie zu diesem Zweck hätte sichten müssen, blieben der Historikerin verschlossen.

Aus Rücksicht auf „ihre Karriere“, wie sie sagt, hat Lacroix-Riz monatelang gewartet, bevor sie die Zensur publik machte. Erst als sie wegen anderer Veröffentlichungen anonym und antisemitisch beschimpft wurde, wandte sie sich in dieser Woche an das Zentralorgan ihrer Partei, die L'Humanité. Kurioserweise berichtete außer den Kommunisten nur die Tageszeitung Le Monde über den Fall. Die anderen französischen Zeitungen übergingen die schwierige Auseinandersetzung mit der delikaten Periode wieder einmal.