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Dubioser Zeuge jetzt angeklagt

■ Zehn Jahre nach dem Attentat auf die Berliner Diskothek "La Belle" wird der bisherige Hauptbelastungszeuge als ein mutmaßlicher Attentäter festgenommen

Berlin (taz) – Neue Ermittlungserkenntnisse sollen gestern zur Festnahme zweier weiterer möglicher Attentäter im Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ vor über zehn Jahren geführt haben. Das sagte gestern nach dem Haftprüfungstermin der Berliner Rechtsanwalt Christian Ströbele, der den im Mai aus dem Libanon ausgelieferten 37jährigen Yasser Chraidi vertritt.

Bislang galt der staatenlose Palästinenser Chraidi als Drahtzieher des Attentats. Jetzt sollen die beiden Festgenommen, Ali Chanaa und seine Ehefrau Verena (beide 37), den wesentlichen Part bei dem Sprengstoffanschlag ausgeführt haben, dem am 5. April 1986 eine junge Frau und zwei schwarze amerikanische Soldaten zum Opfer gefallen waren. Verena Chanaa wird verdächtigt, auf Veranlassung ihres damaligen Ehemannes und Yasser Chraidis die Bombe in dem Lokal abgelegt zu haben.

Unmittelbar nach dem Anschlag machte der damalige US- Präsident Ronald Reagen den libyschen Staatschef Gaddafi für das Attentat verantwortlich. Als Reaktion befahl er zehn Tage später einen Vergeltungsschlag, bei dem die libyschen Städte Tripolis und Benghazi von der US-Luftwaffe bombardiert wurden. Zahlreiche Menschen wurden getötet, darunter auch eine Adoptivtochter des Revolutionsführers.

Jahrelang blieb umstritten, ob Libyen tatsächlich für den Anschlag verantwortlich war. Die Ermittler tappten im dunkeln, bis ihnen nach der Wende die Akten des ostdeutschen Staatssicherheitsdienstes zugänglich wurden. Nach dessen Erkenntnissen waren libysche Diplomaten in den Anschlag involviert, der – wie sich ebenso herausstellte – direkt unter den Augen der Stasi vorbereitet und ausgeführt worden war. Aus den Akten ging aber auch hervor, daß westliche Geheimdienste wie die CIA ebenso von den Vorbereitungen gewußt hatten.

Einer der wichtigsten Informanten der Stasi war der gestern festgenommene Ali Chanaa, den die Stasi als Inoffiziellen Mitarbeiter mit dem Decknamen „Alba“ führte. „Alba“ soll nach den Erkenntnissen der Staatssicherheit aber ebenso Kontakte zur CIA unterhalten haben. Erst seit der Auslieferung Chraidis sieht die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, den Komplex „La Belle“ anklagen zu können. Chanaa gilt dabei als Hauptbelastungszeuge, seine Rolle ist aber mehr als dubios. Das Landgericht und das Kammergericht in Berlin haben bereits 1991 und 1992 die Aussagen Channas als in höchstem Maße „unglaubwürdig“ bezeichnet, weil er erst gegenüber der Stasi und später gegenüber den West-Berliner Ermittlern seine eigene mögliche Tatbeteiligung heruntergespielt und gelogen haben soll. Die Auslieferung Chraidis im Mai basierte auch im wesentlichen auf Chanaas Aussagen. Die Berliner Gerichtsbeschlüsse, die dem Zeugen eine Unglaubwürdigkeit bescheinigten, wurden von der Staatsanwaltschaft im Auslieferungsverfahren unterdrückt.

Chraidis Anwalt Ströbele hat die libanesischen Behörden deshalb aufgefordert, zu prüfen, ob die Auslieferung nicht unrechtmäßig war und ob Chraidi nicht freigelassen werden muß. Das Verhalten der Anklage nennt Ströbele „Täuschung durch Unterlassung“. Wolfgang Gast

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