: HipHop mit Fleisch auf den Rippen
■ Im Modernes überzeugten „Lamb“ und „Galliano“ mit Party-Stimmung
Früher zupften blasse, hagere Mädchen auf der Gitarre und sangen dazu von der Vereinsamung in den Städten. Die blassen, hageren Mädchen von heute beackern das- selbe Terrain, haben aber statt einer Gitarre einen Freund mit Computer und lassen Drum'n'Bass zu ihrem Gesang machen. „Lamb“, die Vorgruppe des „Galliano“-Konzertes am vergangenen Freitag im Modernes, liegt da im Trend. Neben einem Baß besteht die Band hauptsächlich aus einer zierlichen Sängerin und einer Batterie aus Maschinen. Wie aber viele der damaligen Mädchen mit ihren Gitarren gar nicht schlecht waren, sind auch viele der heutigen Mädchen mit ihren „Projekten“ ziemlich hörenswert. Obwohl „Lamb“ keine klassischen Stimmungskanonen waren, hatten sie das Publikum sofort mit exzellentem Sound, eigenem Stil, handfesten Songs und cleveren Arrangements auf ihrer Seite.
Bei dieser Vorgabe hätten die Londoner Acid-Jazz-Pioniere „Galliano“ einen schweren Stand gehabt, wenn sie sich in eine ähnliche musikalische Richtung aufgemacht hätten. Zunächst hatte es so den Anschein: Das Gesangsduo mit fünfköpfiger Band begann mit einem donnernden, kryptischen Intro. Danach allerdings gingen sie aus sich heraus und blieben dort. Zur Hochsaison des Acid-Jazz konnte jeder Arbeitslose mit einem Sampler und einer Jazz-Platte proklamieren, jetzt sei er Jazz-Musiker. Das ist Gott sei Dank vorbei, und „Galliano“ sind längst aus dieser Schublade heraus gesprungen. Im Konzert präsentierten sich die Musiker als versierte Party-Band, die vorwiegend dem Funk und Soul huldigte, während das Frontpersonal aus Rob Gallagher und Valerie Etienne am liebsten rapte. So verschmolz der Sound in den ersten Stücken zu mitreißendem HipHop mit mehr Fleisch als gewöhnlich auf den Rippen. Soloausflüge kamen als seltene Einsprengsel daher, waren kompetent und dem tanzbaren Tenor der Songs zuträglich, entwickelten aber keine wirkliche Virtuosität.
Erst zum erschöpfend furiosen Finale gelang der Stilmix perfekt: Was orientalisch-bedächtig begann, steigerte sich zu einer halsbrecherischen Fahrt durch die gesamte Bandbreite populärer schwarzer Musik, wobei jeder Musiker endlich zeigen durfte, was in ihm steckte. Langeweile hatte dabei trotz Überlänge und etlichen angetäuschten Schlußakkorden keine Chance.
Andreas Neuenkirchen
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