: Stillstand in Blade-Runner-City
Kleine Brötchen auf der 6. Architekturbiennale in Venedig: „Entwürfe für eine Welt von morgen“ wollen retten, was vom Chaos der Gegenwart zu retten ist. Devise: Bestand erhalten ■ Von Rolf Lautenschläger
Wo es keine Visionen mehr gibt, bestimmen Katastrophenszenarien die Einbildungskraft: Weltuntergangssymbolik, Erdbeben, Höllenstürze. Es kommt nicht von ungefähr, daß am Ende des 20. Jahrhunderts gerade die großen Metropolen zur Projektionsfläche jener Bilder avanciert sind, läßt sich doch das Debakel dort tagtäglich erfahren. Die Stadt gilt nicht mehr als Ort des Aufbruchs und der sozialen und ökonomischen Hoffnung, ist weit entfernt von der „Ville Contemporaine“ Le Cobusiers oder der postmodernen Geborgenheit. Zukünftige Stadtplanungen sind geprägt von den Splitterarchitekturen Zaha Hadids, den japanischen Metabolisten oder den Engeneering- Citys Rem Koolhaas', Ken Youngs oder Richard Rogers.
Auf der diesjährigen 6. Architekturbiennale in Venedig hat der japanische Baukünstler Katsuhiro Miyamoto im Stile eines Seismographen diese Chiffren von der chaosgeschüttelten Stadt ernst genommen. Vor dem Pavillon auf dem Ausstellungsgelände Giardini empfangen den Besucher ein Dutzend Katastrophenhelfer mit Warnflaggen in den Händen und bereiten ihn auf die Installation im Innenraum vor, wo das Erdbeben von Kobe aus dem Jahre 1995 nachgestellt ist, bei dem 6.000 Bewohner starben und 210.000 Gebäude zerstört wurden.
Die Raumdecke ist geborsten, Steinbrocken und zerfetzte Balken liegen herum. Der Schock des Erdbeben-Designs wird noch gesteigert, indem ein Vorhang als letztes Relikt einer entleerten Wohnung wie ein Trauertuch im Wind weht. Die Destruktion in den Städten, kommentiert provokativ der Architekt Arata Isozaki im Katalog, sei nichts ungewöhnliches mehr. Natur- und Menschengewalt bedeuteten heute gleichermaßen den Kollaps eines ohnehin ruinösen Systems. Die Stadt der Zukunft heißt für Isozaki „Blade-Runner- City“, sie ist geborsten, wild, konfliktgeladen, chaotisch und extrem.
Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, daß auch die „Entwürfe für eine Welt von morgen“, so der Titel eines Symposions des Bundes Deutscher Architekten (BDA) mit Architekten, Stadtplanern und Künstlern im Rahmen der Architekturbiennale eher unspektakulär ausfielen. Kleinmütig war das nicht. Im Gegenteil. Denn was bleibt von den Mega-Städten und den großen Masterplänen, fragte Kunibert Wachten, deutscher Biennalekommissar, wenn daraus nur ein Moloch entsteht, der gezeichnet ist von wirtschaftlichen Beben und Katastrophenästhetik? Wachten: „Weil die Randzonen von Antwerpen denen von Athen oder Bukarest gleichen, ist die Konsequenz dieses teils geplanten, teils ungeplanten Prozesses ein ökonomisches, ökologisches und soziales Debakel.“
Zugleich seien die modernen Innenstädte nicht weniger austauschbar: Hongkong, Seoul und Kuala Lumpur, Los Angeles, Atlanta oder Lille stehen mit ihren Büroquartieren und der daraus folgenden sozialen Entmischung „für das Gegenbild neuer Urbanität oder die Wiederkehr des Städtischen“. Da sich große Siedlungsräume nicht mehr ortsspezifisch, sondern mehr und mehr universell entwickeln und internationale Investoren samt ihren Hausarchitekten als Hauptakteure die Stadtplanung dominieren, müsse sich mit den zukünftigen Städtebauaufgaben die Rolle des Architekten wandeln, meinte Wachten. Es komme darauf an, den haushälterischen Umgang mit der Knappheit natürlicher und finanzieller Ressourcen zum Postulat der baulichen Zukunft zu machen, sich „tastend“ dem ökologischen Umbau alter Stadtbereiche oder ausgedienter Industriebezirke zu nähern.
Freilich kommt auch Wachten nicht ohne Zukunftsbild aus. Seine kleine Vision lautet: „Den Bestand erhalten. Wandel ohne Wachstum.“ Daß dafür die Großprojekte der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA-Emscher Park) herhalten mußten, wo seit 1986 alte Zechen, Gasometer und Fabrikanlagen zum Teil von High- Tech-Architekten wie Norman Foster in schicke Design-, Science-, Hybrid- und Erlebniswelten umgebaut werden, ging dann doch ein wenig am Thema vorbei.
Henry Beierlorzer, Chef der IBA-Emscher Park, versuchte die Gegenposition: Es sei nicht wichtig, die alten Anlagen oder Brachen schnellstmöglich zu „vermarkten“, sondern diese zu „qualifizieren“. Voraussetzung dafür sind Nutzungskonzepte und ein verständnisvoller „langsamer“ Umgang mit den Orten. Daß die Zeit Beierlorzer recht gegeben hat, weil er die versteckten kulturellen, politischen und baulichen Qualitäten der Emscher Region bei seinem Job herausgearbeitet hat, läßt sich am Umbau der einstigen Industrielandschaft nachzeichnen: Nicht nur die Großprojekte eines Solarkraftwerks von Uwe Kissler (München) oder der ökologischen Bildungsakademie der Architekten Jourda und Perraudin aus Lyon, wo sich ein 150 Meter langes Glashaus über eine Kohlezeche spannt, setzen Maßstäbe. Sondern es sind die kleinen kommunalen Modernisierungs- und Baumaßnahmen für Wohnanlagen, Krankenhäuser, Bürozentren und solarbetriebene Technologieparks von Trojan (Frankfurt), Vanderkrusten und Partner (Kopenhagen) oder Rüdiger Kramm (Darmstadt), die zu ökologisch-wirtschaftlichen Innovationen geführt haben, ohne die Region mittels blinder Wachtumseuphorie aufs Spiel zu setzen.
Wo solche politischen und planerischen Voraussetzungen für die behutsame Erneuerung wie eben in der Emscher Region, in den alten Hafenvierteln Barcelonas und Rotterdams oder im Norden von Paris fehlen und die Architekten auf herkömmliche städtische Bauaufgaben verwiesen werden, wird es problematisch mit dem „Wandel ohne Wachstum“. In den auf Expansion und Monostrukturen ausgerichteten Metropolen „planen wir Architekten wie unter der Zirkuskuppel: ratlos und rastlos“, analysierte der italienische Architekt Marco Venturi die Lage.
Ähnlich wie Lewis Mumford, der 1961 die „Gestalt der Großstadt an ihrer Gestaltlosigkeit“ festmachte, steht für Venturi fest, daß die Diffusität der Städte von heute kein zielgerichtetes innovatives Planen zuläßt. „Die Stadt entvölkert sich, die Menschen wandern an der Peripherie, Stadtstrukturen werden durch Verkehrswege definiert“. Planungen wie beispielsweise am Potsdamer Platz in Berlin von debis/Daimler Benz steuerten nicht zur Schaffung neuer Zentren bei. „Es findet eine bauliche Nivellierung statt, aus der eine soziale resultiert.“
Den Ausweg sieht Venturi im Zurück zur traditionellen Logik der Stadt; zur Parzellierung der Grundstücke und Gebäude – wie sie bei der Rekonstruktion der Berliner Friedrichstraße allerdings mit zweifelhaftem Erfolg praktiziert wird. Denn nur der Genius loci garantiert, daß die Planer an einer Identifikation der Teile, „der Fragmente in der Stadtstruktur“ festhalten und dort im Kleinen sparsam weiterbauen und bestehende Architekturen umweltfreundlich umnutzen. Newton Harrison, Künstler und Designer aus San Diego, prägte dafür einen schönen Begriff: „Kontemplation für die Zukunft“.
Aber heißt das nicht auch „Vorwärts in die Vergangenheit!“? Nur die gefährlich-nostalgische Rückbesinnung auf die alte Stadt, („die Stadt der Lüste“, wie die österreichische Kunsthistorikerin Karin Wilhelm meinte) und die Erkenntnis, daß die wild wuchernden High- Tech-Zentren nur mehr das Chaos steigern, führen – nicht zum erstenmal – auch zu Enthaltsamkeitsmythen unter den Architekten. Nicht mehr der Wandel ohne Wachstum ist dann die Grundlage für die Entwürfe für das 21. Jahrhundert, sondern der „Stillstand, der den Fortschritt bedingt“, wie der Ingenieur Roland Ostertag forderte; eine freilich zukunfts- und innovationsfeindliche Haltung, die dem Moloch Stadt nur noch mit Verweigerung begegnet.
Einen gewissen Charme kann man den kleinen Visionen Wachtens, Venturis, Harrisons oder gar Ostertags durchaus abgewinnen, vergleicht man sie mit der Inflation von Architekturbildern und wahnsinnigen Rettungsversuchen, die auf der Biennale ausgestellt werden.
Während drüben sich das alte sinnenreiche Venedig mit Gleichmut dem Verfall sowie dem High- Tech entgegenstemmt – und zeigt, daß es funktioniert –, hat die Mehrzahl der Entwürfe im Giardini das Thema Stadt längst aufgegeben.
Neben den Splatterarchitekturen sind es megalomane Einkaufszentren, Flughäfen oder Disney- Vergnügungsstätten von Stararchitekten und Baukünstlern, die sich Konkurrenz machen. Jene Architekten, die die Stadt modern und im historischen Kontext mit wunderbaren Entwürfen weiterdenken, wie zum Beispiel Rafael Moneo (Madrid) mit seinen kommunalen Bauten, bleiben in der Minderheit.
Die Inflation der Architekturentwürfe hat in Venedig den Umsatz und den Transport der Bilder beschleunigt und ihren Verschleiß ebenso, kommentierte der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt. Zur Lesbarkeit der Stadt tragen diese Entwürfe darum kaum noch etwas bei.
Denn ohne Lesbarkeit für die Bewohner bleiben sie letztlich wertlos.
Noch bis zum 17. November auf dem Ausstellungsgelände Giardini in Venedig. Der Katalog in englischer und italienischer Sprache kostet 62 Mark.
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