: Süd-Korea wird Industrieland
Die OECD hat Süd-Korea eingeladen, Mitglied im Club der Industrieländer zu werden, trotz Verstößen gegen internationale Arbeitsnormen ■ Von Hugh Williamson
Köln (taz) – Süd-Korea ist der erste der ostasiatischen Tigerstaaten, der kurz vor der Aufnahme im Club der reichen Industrieländer steht. Am Freitag sprach die OECD nach zähen Verhandlungen und entgegen großen Befürchtungen auf beiden Seiten die Einladung zur Teilnahme aus. Stimmt die Nationalversammlung in Seoul zu, ist das Land Ende des Jahres das 28. OECD-Mitglied.
Doch die Zustimmung der Volksvertreter ist keineswegs sicher. Die wichtigsten Oppositionsparteien und ein großer Teil der koreanischen Medien sind dagegen. Die Partei von Präsident Kim Young Sam verfügt nur über eine Mehrheit von drei Sitzen – und auch in ihren Reihen gibt es Kritiker. Die Ablehnung fußt auf der Annahme, daß die für eine Mitgliedschaft vorausgesetzten wirtschaftlichen Grundsätze, vor allem die Öffnung der Märkte, die Konjunktur abwürgen könnten. Das Wirtschaftswachstum Süd-Koreas hat sich schon in diesem Jahr verlangsamt.
Die OECD verspricht sich von Süd-Korea nicht nur wirtschaftliche Chancen, sondern auch eine Zukunftsperspektive für die Organisation, die international immer mehr als Interessenvertretung Europas und Nordamerikas wahrgenommen wird.
Für Präsident Kim ist die OECD-Teilnahme der letzte Beweis, daß sein Land zur Industrienation geworden ist. Korea wird mit einem Bruttosozialprodukt von umgerechnet 690 Milliarden Mark Platz neun auf der Rangliste der OECD-Staaten einnehmen. Beim Wirtschaftswachstum wird das Land mit einem durchschnittlichen Zuwachs von 7,2 Prozent in den Jahren 1990 bis 1995 sogar OECD-Klassenbester sein; die OECD schaffte insgesamt gerade einmal magere 1,4 Prozent.
Auch in puncto Arbeitslosigkeit steht Süd-Korea mit 2 Prozent gegenüber dem OECD-Durchschnitt von 8,6 Prozent sehr gut da. Und erst vor ein paar Tagen wurde Süd-Koreas wachsende internationale Bedeutung offensichtlich, als der zweitgrößte Konzern des Landes, Hyundai, den Bau einer Halbleiterfabrik in Schottland mit 700 Arbeitsplätzen ankündigte.
Daß die Einladung Süd-Koreas in die OECD nicht früher kam, liegt wohl vor allem an den volkswirtschaftlichen und sozialen Hintergründen für die Erfolgsstory. So ging es denn in den über ein Jahr dauernden Verhandlungen vor allem darum, die Schutzmauern um südkoreanische Märkte einzureißen. Insbesondere der Kapitalmarkt und die Finanzdienstleistungen waren bisher vor ausländischer Konkurrenz geschützt.
Ungelöst blieb dagegen das umstrittenste Thema: die Arbeitsgesetze, die noch aus Zeiten der Militärherrschaft stammen. Die durchschnittliche Arbeitszeit wird auch weiterhin 49 Wochenstunden betragen, während der statistische OECD-Angestellte nur 39 Stunden in seiner Firma verbringt.
Allerdings haben der wirtschaftliche Aufschwung und die politische Öffnung auch die Arbeiterschaft im Land selbst auf den Plan gerufen. Sie fordert nicht nur höhere Löhne, sondern auch das Recht auf freie Gewerkschaften.
Die Regierung hat sich jedoch stets dem Reformdruck widersetzt. Die Gesetze lassen immer noch nur die eine nationale Gewerkschaft zu, die die Militärregierung vor Jahrzehnten installiert hat. Gewerkschaftsführer werden regelmäßig verhaftet, weil sie gegen Verbote gewerkschaftlicher Aktivitäten verstoßen; etwa 40 befinden sich noch in Haft.
Für die Aufnahme in die OECD ist die Einhaltung der internationalen Arbeitsnormen offiziell keine Voraussetzung. Dennoch waren viele OECD-Mitgliedsstaaten, darunter die Bundesrepublik, der Meinung, die ständigen Verstöße der Seouler Regierung gegen internationales Arbeitsrecht würden sich nicht mit den liberalen Grundwerten der Organisation über Menschenrechte und pluralistische Demokratie vertragen.
Daraufhin setzte die Regierung in Seoul im Mai eine Sonderkommission für eine Reform des Arbeitsrechts ein. Diese jedoch brachte keine Fortschritte zustande, was nicht nur die Gewerkschaften mehrfach auf die Straßen brachte, sondern letztlich auch dazu führte, daß die für September geplante Aufnahme Süd-Koreas in die OECD verschoben wurde.
Schließlich wurde ein diplomatischer Kompromiß erarbeitet. Die OECD erwartet von Süd-Korea innerhalb der noch bis Dezember laufenden Legislaturperiode, ein Gesetz zur Reform des Arbeitsrechts vorzulegen. Nun jedoch, da Süd-Korea bereits die Mitgliedschaft in dem Wirtschaftsclub erlangt hat, kann die Regierung zu nichts mehr gezwungen werden.
Yun Young Mo vom Koreanischen Gewerkschaftsbund – mit 450.000 Mitgliedern größter unabhängiger und dennoch immer noch illegaler Gewerkschaftsverband – befürchtet, daß das ökonomische Interesse der OECD an einer Mitgliedschaft Süd-Koreas die arbeitsrechtlichen Bedenken überwiegen wird. „Letztlich wird es auf unsere eigene Kraft ankommen“, kommentierte er gegenüber der taz. „Aber wahrscheinlich wird die Arbeitsrechtsreform noch um Jahre hinausgezögert.“
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