: Der Stoff, aus dem die Träume sind
■ Premiere: Yamina Razas Publikumsmagnet „KUNST“ / Amüsement vergiftet mit Intrigen.
Das ist der Stoff aus dem für Künstler die Träume sind. Eine öffentliche Diskussion über modernen Kunst entstand, als die Berliner Nationalgalerie das Bild der Malers Barnett Newmann mit dem Titel „Who is Afraid of Red, Yellow and Blue“ kaufte. In der Stadt ereiferte man sich über den hohen Preis für das Bild. Doch damit nicht genug, ein Anschlag wurde 1982 auf das Kunstwerk verübt. Ein Museumsbesucher hatte sich von den Farbflächen provoziert gefühlt. Seitdem gilt Barnett Newmann als erfolgreicher Künstler.
Auch „Kunst“ von Yasmina Reza ist erfolgreich in verblüffendem Maße. Bei „Theater heute“ gibt man mittlerweile zu, die Qualität anfangs aus „Hochnäsigkeit“ übersehen zu haben. In der Inszenierung von Kay Neumann feierte das „Kunst“-Stück, das im Original „ART“ geschrieben wird und sich wohl über manch modernistische Schreibweise schon im Titel lustig macht, jetzt im Schauspielhaus Premiere. Und es stellt sich heraus, es noch immer derselbe Stoff ist, aus dem die Träume der Künstler sind. Nur die Kleider, die sich daraus scheidern lassen, haben jeweils den neuesten Schnitt.
In neuen Kleidern kommen auch die drei Protagonisten daher: Serge, ein Hautarzt mit offensichtlich gutgehender Praxis, hat ein neues Lebensziel „in Kultur investieren“. Ebenso jungfräulich, wie gestern die SPD in der gleichnamigen Diskussionsrunde (s. u.) antrat, ist sein erster Kauf. 200.000 französische Franc hat er für ein monochromes Bild ausgegeben. Doch glücklich kann er damit nicht lange bleiben. Seine Freunde haben Einwände. Besonders der Naturwissenschaftler Marc ist empört. Ein weißes Ölgemälde, 160x120, auf dem buchstäblich nichts zu sehen ist. „Für so eine Scheiße gibst Du Geld aus?“ Zu Verstärkung holt er sich den dritten im Bunde, Yvan, der immer auf Harmonie bedacht ist, Sätze wie „ich bin ein sympathischer Typ“ sagen darf. Doch das macht alles noch schlimmer. Es stellt sich nämlich während der überaus amüsanten eindreiviertel Stunden heraus, daß weder über moderne Malerei, noch über Kunst eine Einigung im Dialog zu erzielen ist. Im Gegenteil, bald schon wird klar, daß die drei Freunde, die sich seit Jahren treffen, durch die haltbarsten Verstrickungen und Abhängigkeiten aneinander gekettet sind. Wird einer der drei Freunde in die Zange genommen, hört der Spaß ganz schnell auf.
Für das Publikum hingegen beginnt er hier. Identifikation und Schadenfreude zählen noch immer zu den stärksten menschlichen Motivationen. Die französische Autorin Yasmina Reza weiß virtuos diese Klaviatur zu spielen. Souverän zeigt sie in ihrem vierten Stück, daß sie geschickt die französischen Eleganz geschliffener Dialoge mit den deutlich unfeineren, allzu menschlichen Schwächen zu komponieren weiß. Erst im letzten November zum ersten Mal auf Deutsch erschienen, entwickelte sich „Kunst“ in der Inszenierung der Berliner Schaubühne zum absoluten Publikumsmagneten, zur großen Überraschung der Theaterprofis und Großkritiker. Heute hat ihr Theaterverlag allein 52 Aufführungsverträge für „Kunst“ im deutschsprachigen Raum abgeschlossen. „Ein sensationeller Erfolg“ der 38jährigen jüdischen Autorin.
Sensationell, wenn man jedoch „Kunst“ genauer betrachtet, dann kommt die Kunst hier von Können. Der durchkomponierte Text erreicht nach genau 70 Minuten Spielzeit den theatralen Höhepunkts der Abends. Minutenlang schon haben Serge und Marc gewartet. Dann klingelt Yvan endlich Sturm. Christoph Finger, mit der Leistung dieses Abends ein beachtlicher Neuzugang im Ensemble des Bremer Theaters, hetzt auf die Bühne. Atemlos offenbart er, in fulminantem Monolog über seine anstehende Hochzeit, einen absurden Streit mit den Stiefmüttern, das ganze Elend seiner Existenz. Atemlos endet er, doch seine Freunde zeigen keine Spur von Mitleid. Sie haben sich mittlerweile in ihrem Zynismus verbündet. Und so heißt es: „Diese Frau heirate bloß nicht.“ Als treibende Kraft entpuppt sich dabei Marc, dargestellt von Detlev Greisner. Mit schwammiger Poetik darf man ihm bei einem Bild für 200.000 Franc nicht kommen. Und an Vibrationen, die nur um die Mittagszeit sichtbare Strukturen im Weiß des monochromen Bildes erscheinen lassen, will er auch nicht glauben. Dann beruhigt er sich wieder, weiß zum Schluß sogar noch glaubwürdige Einsicht vorzutäuschen. Auch Uwe Kramer als Serge gibt ein Kabinettstückchen. Immer wieder gewinnt er in seinem modischen Reißverschluß-Trikot den selbstbewußten Habitus des Kunstliebhabers zurück. Zwischendurch gelingt es ihm bravourös, die bösesten Angriffe auf seine Kunstleidenschaft zu parieren und dabei einen geschliffenen Dolch zu führen.
Regisseur Kay Neumann, der bislang als Regieassistent arbeitete und dann mit Pinters „Hausmeister“ und dem „Disney-Killer“ von Ridley zwei kleine Produktionen über die Bühne brachte, gelingt mit „Kunst“ eine spielerisch leichte Mousse aus charmantem Small Talk über die moderne Kunst, die interessanterweise mit der Galle enttäuschter Freundschaftgefühle leicht vergiftet ist. Eine Inszenierung, die bei allem Auf und Ab der Gefühle keinen Moment auf Sand zu laufen droht. Susanne Raubold
Nächste Auführungen: 15.,17., 19. und 20. 10. um 20 Uhr. Wer an den letzten Fragen zu „Kunst“ interessiert ist: Diskussionsveranstaltung mit Regisseur, Dramaturgin und den Kunstkennern: J.-F. Chevrier, aus Paris, Thomas Deecke, vom Neuen Museum Weserburg, und Peter Bürger, von der Uni HB.
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