piwik no script img

Splattergespräche unter Gartenzwergen

Antiintellektualismus gehört zum gehobenen Ton: Die „AußerliterarischeOpposition“ las in Ludwigsburg. Anstatt den Weg alles Subkulturellen zu gehen, bleibt die Social-Beat-Szene bei ihren Veranstaltungen gerne unter sich  ■ Von Basil Wegener

Eine Bewerbung ist für Jörg André Dahlmeyer so etwas wie eine persönliche Erniedrigung. Und wie Bewerbungen würden eingeschickte Manuskripte von den bürgerlichen Verlagen behandelt, sagt Dahlmeyer. Anstatt sich erniedrigen zu lassen, trägt der 30jährige Berliner lieber auf düsteren Bühnen vor, was er zu sagen hat. Mit Parka und strähnigen Haaren verkündet Dahlmeyer, es sei nun „reine Wut“, in die „Bürgerstuben“ zu kotzen. Schließlich finde ein „Seelenmassaker“ statt. Aber: „Energie ist ein Widerhaken im System.“

Die Revolution wollte jedoch auch in der alten Ludwigsburger Kaserne nicht losbrechen, in der die Underground-Szene am Wochenende ihre Definition von Literatur vorexerzierte. Der Ludwigsburger Arm der Bewegung, der Killroy-Verlag, hatte die Zeichen der Zeit erkannt und versöhnlich zu „Social Beat & Slam! Poetry“ geladen. Echte Social-Beat-Aktivisten hatten bis dato meist nichts mit den Literaturwettbewerben der jüngeren Slam-Mode zu tun haben wollen. Seit Beginn der Neunziger drängt es die Social Beater schon in lange Lesenächte. Ein harter Kern von rund 50 jungen Autoren ist in guter alter Tradition on the road und bestreitet Festivals in der ganzen Republik.

Statt Aufbruchstimmung vermitteln die Social-Beat-Autoren in ihrer überschaubaren Szene jedoch eher den Eindruck von kritikfreier Geborgenheit. Eine sinnvolle Begriffsdeutung von „Social Beat“ fehlt, was ihnen nichts ausmacht. Den Weg alles Subkulturellen in Richung Hochkultur wollen die Protestpoeten ohnehin nicht gehen. Die Anthologie „Poetry! Slam!“, die der Rowohlt-Verlag vor einem halben Jahr als Prestigeobjekt lancierte, wird einerseits als Angriff von oben betrachtet. Manche untergründigen Autoren sind andererseits beleidigt, da die Rowohlt-Herausgeber sowieso lieber auf die Wortgewandtheit etwa von Musikjournalisten vertraut haben. Ein über den Berliner Galrev-Verlag hinausgehender Ausverkauf der Szene findet bislang jedenfalls nicht statt.

Im Ludwigsburger Vorraum glitt gerade Charles Bukowskis Narbengesicht über einen Monitor, als Henning Chadde aus Hannover die ersten Schweinereien des Festivals darbot. Bei Chadde dämmert ein personaler Erzähler durch einen Abend mit gewaltlustigen Menschen. Ideenlosigkeit wird kaschiert, indem ein alter Heizkörper „Judenofen“ genannt wird, bis ein szenetypisches Splattergemurkse den gesichtslosen Figuren endlich zu einem „finalen Abgang“ verhilft. Und dem Autor zu stillem Schweigen.

Das Bestreben, der Literatur auch jenseits des Volkshochschulkurses zur Alltäglichkeit zu verhelfen, ist ja stets ehrbar. Doch ungeheuer ungehemmt sind viele Social-Beat-Autoren nicht nur in ihren Erzählungen. Eines der ulkigen Mottos, das die „AußerliterarischeOpposition“ vor sich herträgt, lautet: „Während die Struktur Arbeit – Freizeit hohlläuft, sucht die Literatur Inhalte.“

Recht fündig geworden sind die Damen und Herren Autoren offensichtlich nach all den Jahren noch nicht. Einen gemeinsamen Nenner besitzen sie höchstens in den Motiven zwischen S-Bahn und eigener Bude. Zum sinnstiftenden Code gehört im Ludwigsburger Programmheft, daß niemand für eine Bar, dafür aber jemand für „beTrinkung“ zuständig ist. Dieser konnte man sich als Zuhörer auch gut hingeben.

Pichelstein aus Münster dichtete: „In diesem Land der Gartenzwerge stehen bald nur noch Särge.“ Philipp Schiemann aus Düsseldorf erzählte von einer Jobsuche, bei der sein zweites Ich mit einer Ausbildung in vaginalem Lecken renommiert und so einen Personalleiter entsetzt. Wenn sich schon das Publikum nicht provoziert fühlt, dann wenigstens die in die Geschichten gezerrten Bürgerfratzen. Antiintellektualismus gehört zum Kanon. Brachialer Banalbeat übertönt das auch mitunter anklingende Bizarre.

Deutschstunde in Sachen Social Beat

Die vielgepriesene Authentizität verkommt insgesamt zum Rollenspiel. Mündlichkeit wird gar nicht erst versucht. Nicht nur Deutschlehrers Lieblinge, auch Social- Beat-Texte sind geplant und elaboriert. Brüche in Satzkonstruktionen, ein Spiel mit Alltagsformeln, stehenbleibende Korrekturen oder andere Hinweise auf Experimentierfreudigkeit sucht man meist vergebens.

In Ludwigsburg dachten nur wenige Autoren weiter. Trocken und voller sarkastischer Überraschungen sind etwa die Prosaminiaturen Dagi Bernhards aus Essen, rhythmisch und musikalisch die Kurzsatztexte der Münchnerin Michaela Seul. Eine Geschichte über dahingemetzelte Schwäne eines Dr. Treznok aus Wiesbaden läßt sich als ironischer Austritt aus dem Genre lesen.

Soweit die Literatur. Aber klopft Social Beat nicht sowieso eher den Takt fürs Leben? Jörg André Dahlmeyer zumindest möchte „nicht so drüber nachdenken, was kommt“. Die Tatsache, daß nun sein Arbeitslosengeld gestrichen wurde und er auch nicht krankenversichert ist, dient dem Autor von Texten wie „Social Beat ißt Zeitverschwendung“ nicht zur Romantisierung des Daseins. Andere würden schon mal gern Fördergelder vom Schriftstellerverband sehen.

Vielleicht finden sich ja noch manche Jungautoren und Altverleger. In den Lektoraten jedenfalls steigt trotz aller Vorbehalte die Geneigtheit für den Abstieg in den Untergrund. Schon läßt der Leipziger Reclam-Verlag für seinen im kommenden Herbst erscheinenden Titel „TRASH-Piloten“ Fanzines und Selbstkopiertes durchstöbern. Herausgeber Heiner Link plant umfassend: 400 Autoren hat der Münchner Schriftsteller bislang angeschrieben. In der Szene wartet der eine oder andere zwar noch skeptisch ab; Link versichert aber schon mal prophylaktisch Korrektheit: Sein Buch werde „viel ehrlicher“ als das von Rowohlt. Im Blick hat Link allerdings keine verwegenen Szenehelden, sondern Individualisten. Bei Social Beat läßt sich indessen nicht zuletzt etwas von der Konformität des Unangepaßten lernen.

Das nächste Social-Beat-Festival findet vom 1. bis zum 4. November in Münster statt. Informationen gibt es beim „social act-unrast- Verlag“ (Tel. 0251/666293).

Die nächste Lesung der Untergrundtexte findet am 11. November im Café Krähenfuß der Berliner Humboldt-Uni statt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen