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■ Testwahl in südfranzösicher ProvinzstadtGardanne könnte das Vorspiel sein

Gardanne ist nicht Frankreich. Schließlich sind nicht alle französischen Politiker so vielseitig korrupt wie der bisherige Abgeordnete des Wahlkreises nördlich von Marseille, Bernard Tapie. Dessen Blitzkarriere als Geschäftsmann, Fußballmäzen und Politiker im Windschatten von Expräsident François Mitterrand und dessen jäher Absturz in Folge zahlreicher gerichtlicher Verurteilungen mußten zwangsläufig zu Ekel vor der Politik und Zweifeln am System führen.

Die Stimmung nach Tapie ist der Nährboden für die massive Wahlenthaltung (58,6 Prozent) und zugleich für das starke Abschneiden des Kandidaten der rechtsextremen Front National (26,8 Prozent) am vergangenen Sonntag.

Gardanne ist auch anders, weil nirgends sonst in Frankreich die Linke so eng zusammenarbeitet. Während auf nationaler Ebene lediglich Ansätze einer Zusammenarbeit erkennbar sind, haben in Gardanne von der trotzkistischen LCR über die Grünen bis hin zur linksgaullistischen Bürgerbewegung von Chevenement alle gemeinsam den Kandidaten der Kommunisten unterstützt. Dessen sensationell gutes Abschneiden im ersten Wahlgang (37,8 Prozent) zeigt die potentielle Stärke einer vereinigten Linken.

Gardanne ist ein Novum, weil dort am kommenden Wochenende ein Kommunist und ein Rechtsextremist in die Stichwahl treten und somit allein die politischen Außenseiter vertreten sind. Die sogenannten „großen“ Parteien, die Sozialisten und die Konservativen, die seit Jahrzehnten die Regierung des Landes stellen, sackten auf das Niveau von Splittergruppen ab. Beim ersten Wahlgang bekamen nicht nur ihre kurzfristig von Paris in die Provinz entsandten Kandidaten, sondern zugleich die Politik ihrer Parteien einen Denkzettel: Allen voran das Projekt von Maastricht-Europa, das sowohl Front National als auch Kommunisten ablehnen.

Gardanne könnte ein Vorspiel werden, wenn es der Regierung in Paris nicht gelingt, ihre Politik glaubwürdig zu machen, wenn weitere Korruptionsskandale aus Regierung und Opposition ruchbar werden und vor allem, wenn die Arbeitslosigkeit weiterhin steigt. Dann müssen die „großen“ Parteien damit rechnen, daß sie in 18 Monaten, wenn ein komplett neues Parlament gewählt wird, in ganz Frankreich ein ähnliches Szenario wie jetzt in Gardanne vorfinden. Dorothea Hahn

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