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Essen als Menschenrecht

Die Entwicklungsländer fordern einen internationalen Verhaltenskodex, um das Recht auf Nahrung durchzusetzen. Die BRD und andere Industrieländer sträuben sich jedoch dagegen  ■ Von Bettina Gaus

Bonn (taz) – Das Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht und als solches völkerrechtlich verbindlich anerkannt. Aber was heißt das schon? Kleinbauern müssen einem Staudamm weichen und in die städtischen Slums abwandern. Industrieländer laden Nahrungsmittelüberschüsse zu Dumpingpreisen in der Dritten Welt ab. Die Weltbank vergibt Kredite, ohne bei den Projekten die Ernährungssicherung zu berücksichtigen. Agrarreformen werden verschleppt. Bürgerkriege vernichten landwirtschaftliche Nutzflächen.

Welcher dieser Fälle ist eine Menschenrechtsverletzung und damit eine Verletzung des Völkerrechts? Wer legt das fest? Wie lassen sich Verstöße ahnden?

Die sogenannte „Gruppe der 77“, in der inzwischen 128 Staaten der Dritten Welt zusammengeschlossen sind, fordert daher einen Verhaltenskodex zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung. Darin sollen die Pflichten von Staaten sowie internationalen Organisationen und Unternehmen festgeschrieben werden.

Die Forderung wurde gestern in Bonn auch von einer Koordinationsgruppe von mehr als 50 regierungsunabhängigen Organisationen vertreten. Ihre Forderung: Die Teilnehmer des bevorstehenden Welternährungsgipfels in Rom sollen formell beschließen, einen derartigen Kodex zu erarbeiten.

Die Chancen dafür stehen nicht gut. Die Regierungen der meisten führenden Industrienationen setzen dem Plan entschlossenen Widerstand entgegen. „Wir halten nichts von einem solchen Verhaltenskodex“, erklärte Klaus Garcke vom Bundesernährungsministerium gegenüber der taz. Das Ministerium ist für die Bundesregierung federführend bei der Vorbereitung der Welternährungskonferenz. „Das Recht auf Nahrung ist völkerrechtlich schon verordnet. Was gefordert ist, ist politische Aktion. Eine neue Norm zu einer alten Norm hinzuzufügen, die bisher auch nicht viel gebracht hat, hilft den Hungernden nichts.“

Auch die Europäische Union hat sich in einer abgestimmten Erklärung gegen einen solchen Kodex ausgesprochen, „da bisher völlig ungeklärt ist, was dieser konkret beinhalten sollte und wie er sich umsetzen lassen würde“. Ganz vom Tisch ist das Thema damit noch nicht: Auf der nächsten EU- Koordinierungssitzung in Brüssel soll die Frage Mitte der Woche erneut diskutiert werden.

Hinter dem Streit steht die Sorge ums Geld. Vertreter von Industrienationen fürchten, mit einem Verhaltenskodex stärker als bisher zu Hilfsleistungen verpflichtet werden zu können. Darüber hinaus würden Selbstverpflichtungen im Außenhandel und grundlegende Änderungen im wirtschaftspolitischen Kurs von IWF und Weltbank die ökonomischen Interessen der reicheren Staaten berühren. Zudem sei zweifelhaft, daß sich Entwicklungsländer tatsächlich an den von ihnen selbst geforderten Verhaltenskodex halten würden. „Viele südamerikanische Länder wehren sich gegen die Erwähnung einer Landreform im Aktionsplan der Welternährungskonferenz, sind aber gleichzeitig Befürworter eines Verhaltenskodexes. Das halte ich für unlogisch“, meint Klaus Garcke vom Ernährungsministerium in Bonn.

Tatsächlich ließen sich Verstöße gegen den geforderten Verhaltenskodex voraussichtlich im außenpolitischen Bereich leichter nachweisen und ahnden als bei der Innenpolitik der jeweiligen Staaten. Auch im Zusammenhang mit anderen Menschenrechten verweisen Regierungen gerne auf die eigene Souveränität und verbitten sich Einmischung von außen.

Aber das Problem drängt. Einer Studie der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung zufolge müssen im Jahre 2025 drei Milliarden mehr Menschen als heute ernährt werden. Die Zahl der Staaten, deren nutzbares Land zur Versorgung ihrer Bevölkerung nicht ausreicht, wächst kontinuierlich.

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