: Mord auf Bestellung im Kreml
Der Ex-Leibwächter des russischen Präsidenten, Alexander Korschakow, packt jetzt aus. Hochrangige Politiker aus Jelzins Umgebung sollen bezahlte Killer vermittelt haben ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
An diesem Wochenende fiel in dem russischen Provinzstädtchen Tula ein erhellender Strahl auf die Schlammassen, mit denen sich der einstige oberste Wächter des präsidialen Leibes, Alexander Korschakow, und der führende Exfunktionär des russischen Sports, Boris Fjodorow, seit etwa zehn Tagen bewerfen. In Tula wurde nämlich am Sonntag die lang erwartete politische „Dritte Kraft“ zwischen Präsident Jelzin und den Kommunisten geboren.
Entgegen vielen Hoffnungen trägt sie aber kein demokratisches Gesicht, sondern Uniform. Die Generäle Alexander Lebed und Alexander Korschakow machten am Sonntag wahr, worüber bisher nur gemunkelt wurde: Hand in Hand traten sie einen gemeinsamen politischen Weg an. Lebed empfahl den BürgerInnen seines Wahlkreises Korschakow als Nachfolger für den Duma-Sitz, den er selbst seinem Amt als Sicherheitsratssekretär geopfert hatte.
Eine Mammutpressekonferenz Alexander Korschakows im Hotel Radisson-Slawjanskaja – die erste seines Lebens – bildete am Freitag den Höhepunkt seiner Wahlkampfvorbereitungen. Mit Erstaunen gewahrte das fernsehende Volk dabei drei Dinge: Erstens gleicht das Dauerlächeln des Generals verblüffend dem der Mona Lisa. Zweitens imponiert die Unerschütterlichkeit, mit der Korschakow sich selbst über das Gesetz stellt. Wenn er demnächst angeklagt oder verhaftet werde, sei dies ausschließlich als politischer Racheakt zu bewerten, verkündete Korschakow munter.
Dabei erinnert sich ganz Rußland, daß er sich schon vor kanpp zwei Jahren zu einem bis heute ungeahndeten Verbrechen bekannte: dem Überfall auf das Zentralbüro der Most-Bank, der Hochburg des Medienzaren Wladimir Gusinski. Im Dezember 1994 hatten Korschakows Mannen Gusinskis Angestellte gezwungen, vor dem Büro neben dem Weißen Haus stundenlang im Schnee zu liegen, und ihnen erhebliche Verletzungen zugefügt. Nun verkündete Korschakow, ein weiterer Finanzmann, der Chef der Auto-Exportfirma AVTOVAS, Boris Beresowski, habe damals bei ihm einem Mord an Gusinski „bestellt“.
Die dritte Überraschung: Wie selbstverständlich schilderte Korschakow seinen ehemaligen Arbeitsplatz – Tür an Tür mit dem Präsidenten – als eine Art von Versandhauskontor für die Vermittlung bestellter Killer. Dabei nannte er natürlich nur solche potentielle Opfer, die noch am Leben sind. Im übrigen teilte der versierte Leibwächter mit, auch sein eigener Leichnam sei zur Zeit „bestellt“, und zwar von Gusinski und Beresowski. Er ließ dabei offen, warum die beiden Geschäftsleute, die sich doch angeblich noch gestern gegenseitig nach dem Leben trachteten, sich so schnell auf ein gemeinsames Ziel geeinigt haben sollten. Noch von einem anderen Amtsverstoß berichtete Korschakow: der Geheimhaltung des „Kompromats“ (russische Abkürzung für: kompromittierendes Material) gegen führende Politiker, das er seiner Aussage zufolge „vor allem im eigenen Kopf“ aufbewahrt.
In diesem Moment betrat – malerisch am Stock gehend – der ehemalige Vorsitzende der Nationalen Sportstiftung, Boris Fjodorow, den Saal und übernahm die Rolle der Nemesis. Bis vor wenigen Tagen hatte er sich noch in der Schweiz vom Mordanschlag eines bezahlten Killers erholt, dem er im Juni nur knapp entkommen war. Fjodorow begann sofort eine breite Kampagne, während der er in den letzten Tagen Korschakow und dessen einstigen Untergebenen Waleri Strelezki bezichtigte, seinen eigenen Tod „bestellt“ zu haben. Und zwar, weil es ihnen nicht gelungen sei, ihn mit mafiosen Methoden um 40 Millionen Dollar zu erpressen. Es ist kaum zu bezweifeln, daß der nur halb lebendige Ex-Sportmanager mit der Rückendeckung hochgestellter Gegner einer Allianz der Generäle im Präsidentenapparat operiert.
Experten gingen bereits im Frühjahr 1994 von Mafia-Einfluß auf die nächste Umgebung des Präsidenten aus. Damals veröffentlichte die Nowaja Gaseta einen geheimen Jelzin-Ukas, der der „Nationalen Sportstiftung“ zollfreie Ausfuhrquoten für Waren zuwies, die nicht unbedingt mit Sport zu tun haben: Erz, Heizöl und Titan. Zwecks Gesundung erhielt der „Nationale Sport“ bald darauf noch das Einfuhrmonopol für Spirituosen und Zigaretten. Bis zu vierhundert Dollar-Milliarden verlor der russische Staat Schätzungen zufolge durch derartige Privilegien diverser Stiftungen noch im letzten Jahr.
Die Moskauer Presse ergeht sich inzwischen im Rätselraten über die wahre Natur des Bündnisses zwischen dem amtierenden Sekretär des Sicherheitsrats und dem in Ungnade gefallenen Chef des Sicherheitsdienstes des Präsidenten. Warum Korschakow General Alexander Lebed gut gebrauchen kann, liegt auf der Hand. Die Immunität eines Deputierten muß ihm nur zu gelegen kommen.
Und Lebed? Um Korschakows willen hat der angeblich Unbestechliche neulich sogar seine politische Jungfernschaft geopfert und sich zum erstenmal auf einer Pressekonferenz eine unverhohlene Lüge geleistet: „Warum denn nicht, er hat schließlich keine Verbrechen begangen“, sagte Lebed auf die Frage, ob er etwa mit dem ehemaligen Leibwächter politisch zusammenzugehen gedenke.
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