: Armleuchteralgen verabschieden sich
■ Das Bundesamt für Naturschutz hat 39 Prozent der Pflanzen auf die rote Liste gesetzt. Landwirtschaft ist eine Hauptverursacherin. Doch Umweltministerin Angela Merkel zieht daraus keine Konsequenzen
Berlin (taz) – Noch vor ein paar Jahrzehnten war Arnika allen Wandersleuten vertraut. Zwischen Mai und August waren viele Bergwiesen von den gelborangen Blütenköpfchen übersät, die einen aromatischen Duft verströmten. Manch einer rieb seine Schrammen und Blasen nach der Heimkehr mit einer Tinktur aus getrockneten Arnikablüten ein. Die Zeiten sind vorbei: Die einst häufige Blume ist zu einer gefährdeten Art geworden; in vielen Landstrichen ist sie sogar vom Aussterben bedroht. Die Hauptschuld trägt dabei die Landwirtschaft, die nährstoffarmen Wiesen durch intensive Bewirtschaftung in artenarme Fettweiden verwandelt hat.
Das Bundesamt für Naturschutz hat 13.907 Pflanzenarten in Deutschland untersucht. Über 39 Prozent davon setzte sie auf die rote Liste, die gestern in Bonn veröffentlicht wurde. Fast 30 Prozent der immobilen Lebewesen sind hierzulande demnach gefährdet, stark gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden. Das Überleben von 46 Prozent der Moose, 61 Prozent der Flechten und 31 Prozent der Farne und Blütenpflanzen ist unsicher.
Besonders schlimm sieht es für die Armleuchteralgen aus: Von 40 Arten gelten 36 als bedroht oder sogar schon verschollen. Diese Pflanzen, die bis zu vier Meter unter der Wasseroberfläche siedeln, sind ein wichtiger Indikator für die Wasserqualität. Nur in klaren, nährstoffarmen Gewässern können sie überleben – die aber gibt es durch Überdüngung der Felder, Gülleeinträge und große Stickstoffmengen aus den Auspuffrohren so gut wie nicht mehr in Deutschland. Auch die Zerstörung naturnaher Bach- und Flußauenlandschaften und das Zuschütten kleiner Seen macht den Algen das Überleben fast unmöglich. Dabei hängen von ihnen viele Insekten und Kleintiere ab, die wiederum die Nahrungsgrundlage für Frösche und Kröten bilden, von denen sich Vögel ernähren.
„Beispiele für eine großräumige Wiederausbreitung von gefährdeten Pfanzenarten sind bisher nicht zu verzeichnen“, stellt das Bundesamt für Naturschutz fest. Nur in einigen Biotopen sei es gelungen, Pflanzenpopulationen zu stabilisieren.
Der Präsident des Bundesamtes für Naturschutz, Martin Uppenbrinck, versuchte gestern auch bei den Standortpolitikern Aufmerksamkeit für das Thema zu erzielen: „Artenvielfalt ist auch eine wirtschaftliche Ressource“. Doch bei seiner Vorgesetzten, Umweltministerin Angela Merkel, scheint das noch nicht angekommen zu sein. Das erst vor kurzem von ihr vorgelegte Bundesnaturschutzgesetz wird das Artensterben jedenfalls nicht verhindern. Die Lobby der konventionellen Landwirtschaft hat durchgesetzt, daß Felder und Weiden künftig nicht anders als bisher gedüngt werden. Das Bundesamt für Naturschutz will jetzt im Januar ein Symposium veranstalten, um die Ursachen des Artenschwunds zu erforschen. aje
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