: Einmal nur Lokführer sein
S- und U-Bahn-Fahren soll wieder Spaß machen. Bei der Entwicklung neuer Züge denken die Firmen an die Passagiere. Verkehrsmesse Innotrans öffnet am Wochenende für Eisenbahnfreunde ■ Von Hannes Koch
Der Qualitätssprung ist nicht zu übersehen. Als die DesignerInnen und IngenieurInnen die zukünftige Berliner U-Bahn entwarfen, haben sie mit vielen alten Gewohnheiten aufgeräumt. Wenn die neuen Züge nach 2000 über die Gleise rollen, gibt es zwischen den einzelnen Wagen keine Unterteilung mehr. Auf der Suche nach einem freien Sitzplatz können Passagiere den Zug von vorne nach hinten durchstreifen, ohne aus- und wieder einsteigen zu müssen. Und das Personal hat freien Blick durch die gesamte Bahn, was die Sicherheit der Reisenden erhöhen soll.
Daß Stadtbahnen und Nahverkehrszüge weitaus komfortabler und attraktiver sein können als heute üblich, demonstrieren die Herstellerfirmen bei der Internationalen Verkehrsmesse Innotrans. Auf dem Freigelände am S-Bahnhof Innsbrucker Platz stehen ein gutes Dutzend neuer Straßen-, S-Bahnen und Regionalzüge. Mit viel Brimborium und Blasmusik wird die Ausstellung am Samstag und Sonntag für die interessierte Öffentlichkeit geöffnet.
Eine Bahn ist bunter angemalt als die andere. Den Vogel abgeschossen hat die Deutsche Waggon Union mit ihrem neuen Schienenbus, dessen Außenhaut der schrillen Bemalung mancher Skateboards ähnelt. Bei den asymmetrisch abgerundeten Sitzformen hat mancher Entwickler seiner Phantasie freien Lauf gelassen. Daß Passagiere beim Einsteigen kaum noch das Bein heben müssen („Niederflurtechnik“), gehört mittlerweile zur Selbstverständlichkeit. Allgemein zeichnen sich die Bahnen durch mehr Platz im Innenraum und eine großzügige Gestaltung mit viel Glas und Freiflächen aus.
Viele Firmen sind sich einig, daß der öffentliche Nahverkehr nach Jahren der Streckenstillegung vor einer Renaissance steht. Das hat zu tun mit der offenkundigen Ineffizienz des Autoverkehrs in den Ballungsräumen, aber auch mit der Regionalisierung des Schienenverkehrs, wodurch kleine Betreiberfirmen neue Züge einsetzen.
Wenngleich bis Freitag nur für Fachpublikum geöffnet, ist die Innotrans ein Ort für Eisenbahnfetischisten jeder Couleur. Am Innsbrucker Platz schieben sich die professionellen Schienenfreunde mit leuchtenden Augen durch den Antriebsraum der neuesten E-Lok. In Gruppen quetschen sie sich auf den Führerstand des „Regiosprinter“ genannten Nahverkehrszuges und legen den Vorwärtsgang ein. Der Pendelverkehr mit den modernen Schienenbussen zum Messegelände am Funkturm gibt Anlaß zu eingehender Fachsimpelei über Gleislage und Fahrgeräusche.
In den dortigen Messehallen sind die technischen Einzelteile ausgestellt, die normalerweise unsichtbar in den Zügen verborgen sind. Sanft fährt manche Männerhand über die rot und grau gestrichene Bremsanlage des Intercity. Eine Spezialfirma hat Vakuumtoiletten für Schnellzüge aufgebaut, eine andere demonstriert, wie man die Reisenden noch sanfter aus intelligent angebrachten Lautsprechern beschallen kann.
Eine grundsätzliche Umgestaltung ist in den kommenden Jahren beim Abkassieren der Fahrgäste zu erwarten. Die ersten Ansätze lassen sich am Messestand der in Hannover ansässigen Firma Höft & Wessel begutachten. Dort steht eine grüne, etwa einen Meter hohe Säule mit schrägem Display und darunter eingelassenem Schlitz für die Chipkarte. Von Hannovers Nahverkehrsunternehmen Üstra wird dieser moderne Fahrkartenautomat gerade eingeführt.
Die Vision von Höft & Wessel- Mitarbeiterin Nicole Funck: Alle Scheckkarten der bundesdeutschen Banken werden zukünftig einen zusätzlichen Chip tragen, der als elektronische Geldbörse funktioniert. Von der Karte bucht der Automat dann bargeldlos den Fahrpreis ab. Das registriert die Chipkarte, was die KontrolleurInnen der Üstra mit speziellen Chipkartenlesern auch überprüfen können. Ist der Geldspeicher leer, geht man zur Bank und läßt ihn wieder aufladen.
Grundsätzlich könne die Chipkarte zur sogenannten „Mobilcard“ erweitert werden, meint Funck. Damit sei es dann später auch möglich, die Bundesbahn, das Taxi und den Mietwagen zu bezahlen – ein Zahlungsmittel für alle Fälle der Mobilität. Eine Idee, deren Realisierung vermutlich in noch weiter Ferne liegt, präsentierte auf seinem kleinen Stand der Entwickler Gottfried Perdolt aus Salzburg. Seinem System zum „Vollautomatischen Ein- und Ausladen von Gütern ohne Anhalten des Zuges“ liegt folgende Analyse zugrunde: Die Bahn ist unter anderem deshalb langsamer und teurer als der LKW, weil das Zusammenstellen und Auseinanderkoppeln der langen Güterzüge jede Menge Zeit verschlingt. Perdolts Folgerung: Man muß das Rangieren während der Fahrt erledigen.
Dazu hat der Entwickler die sogenannte „Ladeleitschiene“ erdacht. Im Güterbahnhof zieht ein Mechanismus den für die jeweilige Stadt bestimmten Container vom fahrenden Zug und schiebt einen anderen an dessen Stelle. Grundsätzlich könne man das Prinzip auch auf die Personenbeförderung mit Containerwagen übertragen, meint der Salzburger Visionär, der allerdings noch nach Unternehmen sucht, die das Projekt umsetzen.
Innotrans, Publikumstage Samstag und Sonntag am S-Bahnhof Innsbrucker Platz, jeweils 10–18 Uhr
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