: Arme Unternehmer
■ betr.: „Lohnfortzahlung: Metaller bitten zu Tisch“ vom 9.10. 96 sowie sonstige Berichterstattung zum Thema in der taz
Was die SpitzenfunktionärInnen der Gewerkschaften dazu von sich geben, rührt mich zu Tränen. Wie weit sind sie eigentlich selber in dem Sumpf des Kapitalismus verstrickt? Das Beispiel des ehemaligen IG-Metall-Vorsitzenden Steinkühler legt die schlimmsten Vermutungen nahe. Funktioniert die Demokratie in den Gewerkschaften noch? Es gibt die Gruppe „Kritische Gewerkschafter“, die sich die gleichen Fragen stellt.
Ich müßte alle KollegInnen dazu aufrufen, für die notleidende Wirtschaft, die Banken oder andere „Bedürftige“ zu spenden. Daß der „Standort Deutschland“ in Gefahr sei, wird uns schon seit Jahren gepredigt. Die zwanziger Jahre brachten den Schwarzen Freitag, der die Vernichtung der damaligen sozialen Errungenschaften zur Folge hatte.
Heute können die „armen“ Unternehmer und Konsorten nicht einmal mehr 100 Prozent des Lohns im Krankheitsfall zahlen. Im krassen Gegensatz dazu fahren die Großbanken die sattesten Gewinne ein. Spekulationen und hohe Zinsen unter anderem auf Kosten der sogenannten Dritten Welt lassen die Schere zwischen Armen und Reichen immer größer werden
[...] Der Lebensstandard der meisten Menschen in Europa soll sich an den Billiglohnländern orientieren. Dann würde sich die moderne Variante des Manchester- Kapitalismus endgültig international durchsetzen!
Die Unternehmer und ihre ZuarbeiterInnen in den Regierungen brauchten keine Angst vor einem Generalstreik zu haben. Die GewerkschaftsfunktionärInnen trauen sich nicht, dies öffentlich zu sagen. Ich wünsche ihnen mehr Mut, endlich die Rücknahme des Sozialabbaus zu fordern, und aufrichtig und nachhaltig die Interessen der Betroffenen zu verwirklichen. Bettina Fenzel, Mannheim
[...] Wer so nachlässig informiert, darf sich nicht wundern, wenn er in der „Querspalte“ von einem altlinken Architekten an der Nase herumgeführt wird. Entrüstet durften wir an dessen Gesinnungswandel zum Arbeitgeber teilhaben. Vielleicht haben wir sogar klammheimlich die finanzielle Belastung dieses Chefs eines Kleinbetriebes verstanden. Auch 80 Prozent Gehaltsfortzahlung für Nichtarbeit sind immer noch viel Geld! Aber seine wirkliche Verlogenheit konnten wir nicht durchschauen! Gesetzlich ist nämlich vorgeschrieben, daß Betriebe mit 20 (bzw. 30) Beschäftigten eine „Lohnfortzahlungsversicherung“ der Krankenkasse abschließen müssen. Ist eine ArbeitnehmerIn krank, erhält der Arbeitgeber 80 Prozent dessen zurück, was er für die Krankheitstage als Gehalt ausgezahlt hat (§ 10 Entgeltfortzahlungsgesetz). Wenn also ein Arbeitgeber seit Oktober nur 80 Prozent weiterzahlt, erhält er jetzt 64 Prozent des Bruttogehaltes von der Krankenkasse zurück. Er zahlt letztendlich für jeden Krankheitstag nur 16 Prozent des Gehaltes!
Weiter lesen wir, daß der einstmals so soziale Architekt am liebsten die Krankheitstage über Zeitkonten abrechnen möchte. Das klingt gemein, raffiniert und auf jeden Fall kapitalistisch. Es widerspricht aber der geltenden Rechtsprechung! Viele Sachverhalte im Arbeitsrecht sind gleichzeitig im Gesetz, im Tarifvertrag, in Betriebsvereinbarungen oder im Einzelvertrag geregelt. Im Zweifelsfall gilt das „Günstigkeitsprinzip“: Die Arbeitnehmerin darf die für sie am günstigsten ausfallende Regelung anwenden. Sollten irgend jemand vereinbaren, Krankheitszeiten mit Arbeitszeiten zu verrechnen, kann sich die Arbeitnehmerin auf die bessere Regelung des § 1 Entgeltfortzahlungsgesetz berufen! Genau deshalb durften zum Beispiel die Metallarbeitgeber nicht schon ab 1. Oktober die Gehälter der Kranken kürzen. Solange ein günstigerer Tarifvertrag gilt, darf ein schlechteres Gesetz nicht angewendet werden. Es stellt nur eine Mindestnorm dar, wenn es keine bessere arbeitsvertragliche Regelung gibt. Rolf Blaga, Berlin
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