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Hauen und Stechen unter Milosević' Gegnern

■ Zwei Wochen vor den Wahlen steht die Opposition in Serbien vor dem Bruch

Wien (taz) – Zwei Wochen vor den serbischen Parlamentswahlen droht das oppositionelle Wahlbündnis aus Liberalen, Freien Gewerkschaften, Nationaldemokraten und dem pazifistischen Bürgerkomitee zu platzen. Streitigkeiten über die Besetzung von Spitzenpositionen, politische Ausrichtung und Wahlkampfstrategie führten am Wochenende zum Rücktritt des derzeit wohl populärsten Politikers Serbiens, des Exnotenbankchefs Dragoslav Avramović.

Nur dieser Mann, so die übereinstimmende Meinung serbischer Politologen, hätte die mit absoluter Mehrheit regierende Sozialistische Partei unter Präsident Slobodan Milosević ernsthaft gefährden können. Ohne ihn, meint der Sprecher der größten unabhängigen Gewerkschaft, Dragomir Olujić, werde die Opposition noch schlechter abschneiden als bei den letzten Wahlen. Und das trotz wachsender sozialer Probleme, Massenarbeitslosigkeit und Verelendung weiter Teile der Bevölkerung. „Wir können nur hoffen, daß die Bevölkerung durch massive Enthaltung ihrem Unmut bekundet“, sagt Olujić, „vielleicht wachen dann unsere Pseudodemokraten auf, denen Pale noch immer näher ist als Europa.“

Obwohl die serbische Bevölkerung kriegsmüde ist, versuchen einige Funktionäre im Oppostionsbündnis noch immer, ihren Traum vom Großserbischen Reich zu verwirklichen. So weilte gestern der Parteivorsitzende der Demokratischen Partei, Vojislav Kustunica, in der bosnischen Serbenhochburg Pale, um der Clique der international gesuchten Kriegsverbrecher Radovan Karadžić und Ratko Mladić seine Unterstützung zuzusagen. Seinen Landsleuten gab er den Rat, „nicht vom gemeinsamen Endziel der Vereinigung aller serbischen Länder abzulassen“.

Ein anderer Spitzenkandidat der Opposition, Vuk Drasković von der Serbischen Erneuerungsbewegung, konnte es sich im Wahlkampf ebenfalls nicht verkneifen, den nationalistisch-populistischen Kurs der regierenden Sozialisten noch zu überbieten: Für Drasković sind die zwei Millionen Kosovo- Albaner im Süden „Verräter“ und „militante Separatisten“, die nicht einsehen wollen, daß Minderheitenrechte „überflüssig“ sind. Denn: „Kosovo ist serbisch und wird es immer bleiben.“

Kosovo-Führer rufen zum Wahlboykott auf

Drasković will der albanischen Minderheit nicht mehr Autonomie zugestehen als Milosević. Für die Kosovo-Führer ist dies ein Indiz mehr, weder den Regierenden noch der Opposition zu trauen. Daher die jüngste Devise an ihre Landsleute: „Boykottiert die Parlamentswahlen am 5. November.“ Weshalb Drasković, Kustunica und andere von ihren Provokationen nicht lassen konnten, darüber rätseln derzeit die kritischen Medien in Belgrad. Denn erst Ende September hatten sich die Oppositionsparteien auf eine Plattform geeinigt, wonach sich alle Gruppierungen verpflichteten, „nationalistischen Konzepten“ abzuschwören, den Minderheiten im Lande „großzügige Autonomierechte“ zu gewähren und eine rasche Integration Serbiens in die westeuropäischen Institutionen anzustreben.

Als dieses Programm abgesegnet worden war, entschloß sich die Oppostion zu einem weiteren taktischen Schritt: All jene Unzufriedenen sollten sich dem Bündnis anschließen, „die mit dem nationalistischen Kurs des Milosević-Regimes unzufrieden waren“ und sich nicht länger „von Kriegsgewinnlern und Generälen“ bevormunden lassen wollten. In diesem Augenblick entschloß sich auch eine Gruppe von Wirtschaftsreformern, allen voran Avramović, dem Oppositionsbündnis beizutreten.

Vor allem auf Avramović setzte die Bevölkerung große Hoffungen, denn er hatte schon vor Jahren für ein schnelles Ende des Krieges plädiert und sich für eine Wirtschaftsunion der Nachfolgestaaten Exjugoslawiens stark gemacht. Für die Serben wurde Avramović zum Inbegriff des Reformers, als Milosević ihn zum „Serbenfeind“ stempelte, der feindlichen Kreisen im Westen hörig sei. Auf den gleichen Vorwurf der serbischen Oppositionellen antwortete nun Avramović: „Ich kann mit Euch auch nicht zusammenarbeiten.“ Karl Gersuny

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