piwik no script img

Kunstflop

■ Der Effekt und sein Gegenteil: Bei der Eröffnung der Ars Digitalis blickten die BesucherInnen in das virtuelle Nichts

Wenigstens war es nicht kalt. Und so mußten die etwa 100 Besucher nicht auch noch frieren, die sich am Mittwoch abend gegen 20 Uhr am Tauentzien Ecke Nürnberger Straße zur Eröffnungsveranstaltung der Ars Digitalis eingefunden hatten.

Denn zu sehen gab es an diesem Abend so gut wie nichts. Einige Techniker bastelten auf einem Podest an einem Videobeamer herum. Ab und zu dröhnten ein paar Musikfetzen aus einer Verstärkeranlage über den Feierabendverkehr auf der stark befahrenen Kreuzung, und ein Notstromaggregat summte sein einsames Lied dazu. Von den digitalen Kunstwerken des Wettbewerbs Ars Digitalis, die an die gläserne Fassade des Kaufhauses Peek & Cloppenburg projiziert werden sollten, war auch nach längeren Umbaupausen nur schemenhaftes Geflacker zu erkennen.

Es kracht, es zischt, zu sehen ist nüscht, aber dafür wird das Ganze im Internet übertragen (www.ars- digitalis.de). Die ersten Besucher waren schon wieder gegangen, als auf den Kaufhausfenstern einige nebelhafte Formen aufschienen. Die verbliebenen Zuschauer begannen zu rätseln, ob es sich bei den unscharfen Bildern um Herbstlaub, Wasserspiele oder digitale Effekte handeln mochte. Nur das Logo des Sponsors, ein lächelndes „Emoticon“, war zwischen den kurzen Clips deutlich auf einer Säule zu erkennen.

Als nach drei Beiträgen immer noch kein Unterschied zwischen dem weißen Rauschen an der Kaufhauswand und einem handelsüblichen Techno-Video auszumachen war, leerte sich die Kreuzung allmählich, und der Bürgersteig gehörte wieder den vorbeieilenden Passanten, die von dem Gewaber über ihren Köpfen kaum Notiz nahmen. Eindrucksvoller hätte man wohl kaum demonstrieren können, wie das Visuelle im Digitalen verschwindet.

Leider war dieser Effekt genau das Gegenteil von dem, was die Veranstaltung eigentlich zeigen sollte. Denn das ereignislose Event, das am Mittwoch abend in der Westberliner Mitte für wenig Aufmerksamkeit sorgte, eröffnet eine Veranstaltung der Hochschule der Künste (HdK), bei der es um die Möglichkeiten der neuen, digitalen Bilder aus dem Computer gehen soll – nicht um ihr Entschwinden. Bei einem Wettbewerb der HdK gingen in den letzten Monaten über 200 Einsendungen mit Videoaufnahmen von digitaler Kunst ein, aus denen in den nächsten Tagen eine Jury drei Gewinner auswählen wird. Am Tauentzien sollte nun die erste Vorauswahl zu sehen sein.

Nach dem Eröffnungsflop spricht allerdings wenig dafür, daß bei der Ars Digitalis mehr zu sehen sein wird als gefälliges Augenpulver und visuelles Wischiwaschi. Durch die Projektion der digitalen Arbeiten wird ihnen nämlich genau die Eigenschaft genommen, die Computerkunst interessant machen könnte, ihre Interaktivität. Doch die Veranstalter der Ars Digitalis scheinen das Medium, um das es bei dem Projekt geht, nicht verstanden zu haben. Statt den Betrachter zum User zu machen, degradierte die Eröffnung der Ars Digitalis ihn wieder, wie im Kino, zum passiven Konsument – bloß, daß es im Kino gewöhnlich etwas zu sehen gibt.

Das dürfte auch den Sponsor Vebacom enttäuschen, der 40 Prozent des 300.000-Mark-Etats übernommen hat und damit wohl gleich auch ein bißchen Talentscouting für seine digitale Telekommunikation betreiben wollte. Dabei hatten sich die Organisatoren alle Mühe gegeben, ihre digitale Leistungsshow recht Geldgeber-freundlich zu gestalten: Außer auf das Kaufhaus Peek & Cloppenburg wird in den nächsten Tagen auch auf die Infobox am Potsdamer Platz und auf das Gebäude der Bankgesellschaft Berlin digitale Kunst projiziert. Fast scheint es, als wolle man beweisen, daß Computerkunst nicht für den öffentlichen Raum, sondern bloß als dekoratives Element für den Wirtschaftraum Innenstadt gedacht ist. Und darum ist es eigentlich ganz in Ordnung, daß die digitalen Bilder der Ars Digitalis im „virtuellen Nichts“ einer Glasfassade verschwunden sind. Tilman Baumgärtel

Heute ab 20 Uhr, Alexanderplatz. Vom 22. bis zum 24. 10. werden die Wettbewerbsbeiträge ab 10 Uhr bis Mitternacht in der Haupthalle der HdK gezeigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen