: Pakistans Schatten hinter den Taliban
■ In Afghanistan wird verhandelt, aber der „Vermittler“ ist nicht neutral
Berlin (taz) – Die afghanischen Taliban haben sich jetzt auf Verhandlungen mit ihren Gegnern verlegt, nachdem deutlich wurde, daß sie nach dem Vertreiben der Regierungstruppen aus Kabul keinen militärischen Durchmarsch in den Norden des Landes machen können. Erstmals wurden gestern offiziell Gespräche zwischen ihnen und dem usbekischen Warlord Abdul Raschid Dostam bestätigt. Allerdings gab es über die letzten zwei Jahre immer wieder Kontakte quer zu allen Allianzen, auch zwischen den Taliban und Dostams „National-Islamischer Bewegung“. Die fanden meist im benachbarten Pakistan statt. Dort unterhalten fast alle afghanischen Fraktionen Büros.
Taliban-Außenminister Mullah Muhammad Ghaus lotete am Dienstag in Dostams „Hauptstadt“ Mazar-i Scharif Möglichkeiten einer Friedenslösung aus. Er hatte Pakistans Innenminister Nasrullah Babar und den Chef der pakistanischen Islamistenpartei „Jamiat-i-Ulema-i-Islam“ (JUI), Maulana Fazl-ur-Rehmann, mitgebracht. Auf seiten Dostams nahm dessen Verbündeter Abdulkarim Chalili von der schiitischen „Partei der islamischen Einheit“ an den Gesprächen teil. Eventuell, so hieß es, soll eine Allparteienkommission eingerichtet werden, die über die politische Zukunft des Landes entscheiden soll.
Am Mittwoch abend New Yorker Zeit bot dort der Vizeaußenminister der von den Taliban vertriebenen afhganischen Regierung, Abdurrahim Ghafurzay, den Taliban einen bedingten Waffenstillstand an. Das hatte bereits sein Chef, der vormalige Kabuler „Interimspräsident“ Burhanuddin Rabbani, in der vergangenen Woche getan, nachdem in Mazar-i Scharif eine breite Anti-Taliban- Allianz entstanden war. Neben Dostam gehören ihr das Kabuler Lager, die Wahdat sowie die Miliz der ismailitischen Minderheit an. Der staatliche pakistanische Rundfunk verbreitete gestern bereits die Meldung von einer befristeten Waffenruhe. Aus Mazar wurde das bisher nicht bestätigt.
Mancher Afghane und manche Afghanin wird das alles gern hören, allein wird ihnen der rechte Glaube an den Willen zum Frieden und eine Machtteilung bei den bisher kämpfenden Parteien fehlen. Daß ausgerechnet Pakistan den Vermittler spielt, dürfte auch bei Dostam und seinen Alliierten Mißtrauen erregen.
Zwar distanzierte sich Premierministerin Benazir Bhutto von den Taliban und klagte, allerdings nicht sehr scharf, die Wiederherstellung der Frauenrechte ein. Aber sie hat nicht viel Einfluß auf die Afghanistanpolitik ihres Landes. Die liegt seit der sowjetischen Afghanistan-Invasion 1979 in den Händen des Militärgeheimdienstes ISI und dessen „Afghan Bureau“. Dessen damaliger Chef Mohammad Yousaf schrieb in seinen Memoiren: „Ich war nicht nur mit der Ausbildung und der Bewaffnung der Mudschaheddin beauftragt, sondern auch mit der Planung ihrer Operationen innerhalb Afghanistans.“
Diese Aufgabe haben heute im Ruhestand befindliche ISI-Offiziere übernommen. Die wichtigste Figur ist dabei der ehemalige ISI- Chef General i.R. Hamid Gul, der mehrmals an Taliban-Fronten in Afghanistan gesichtet worden sein soll. Nach der Regierungsübernahme Bhuttos 1993 versuchte Innenminister Babar, das ISI-Monopol zu brechen, indem er eine eigene Afghanistan-Linie aufbaute. Die lief vor allem über die JUI, an deren Madrassas (höhere Koranschulen) der ursprüngliche Kern der Taliban religiös und an Waffen ausgebildet wurde. JUI-Chef Fazl- ur-Rahman, Hamid Gul und sein Vorgänger als ISI-Chef, General Akhtar Abdur Rehman Khan, sind wie die meisten Taliban Paschtunen. Dieses Volk lebt – von der Kolonialmacht Großbritannien geteilt – beiderseits der pakistanisch-afghanischen Grenze.
So wurde Pakistan zur Ausgangs- und Nachschubbasis der Taliban. Von Pakistan aus brachen im Spätsommer 1994 die ersten hundert Taliban auf, um einen pakistanischen Hilfskonvoi für Turkmenistan zu befreien, den eine Mudschaheddin-Gruppe in der Nähe der südafghanischen Stadt Kandahar entführt hatte. Der Konvoi war ein Versuchsballon zur Wiedereröffnung der Landverbindung zwischen Pakistan und den GUS-Staaten Mittelasiens – initiiert und öffentlich verkündet von Pakistans Innenminister Babar. Pakistanische Ingenieure reparierten in den Taliban-Gebieten Kommunikations- und Straßenverbindungen gegen den scharfen, aber erfolglosen Protest aus Kabul.
Wenn Dostam jetzt mit den Taliban und vor allem den Pakistani verhandelt, dürfte er deshalb darauf bestehen, daß auch die anderen Regionalmächte einbezogen werden. Das betrifft vor allem den Iran, der die Rabbani-Regierung unterstützt hatte und die Taliban mit Mißtrauen betrachtet, weil hinter ihnen die Hand der USA vermutet wird. Thomas Ruttig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen