Der Weg zur Währungsunion führt in Frankreich zum Streik

■ Mit Sparhaushalt und Privatisierungskurs bringt die französische Regierung das rezessionsgeplagte Volk in Rage

Paris (taz) – Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, war der Sparhaushalt für das kommende Jahr: Erstmals in der Geschichte der V. Republik sieht er vor, daß die Staatsausgaben um keinen einzigen Centime steigen und daß die Stellen von 7.000 Beamten gestrichen werden. Premierminister Alain Juppé paukte das Vorhaben durch, weil sich Frankreich nur so für die Währungsunion im Jahr 1999 qualifizieren kann.

Nur 1.553 Milliarden Francs (465 Milliarden Mark) und eine maximale Neuverschuldung von 183 Milliarden Francs (85 Milliarden Mark) für 1997 – das erschien sogar vielen Parlamentariern der Regierungsparteien unerträglich wenig.

Doch dann bekam Juppé Rückendeckung von Staatspräsident Jacques Chirac, der die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und den fahrplanmäßigen Weg dorthin zu seinem zentralen Anliegen erklärt hat. Und prompt stimmte die Mehrheit dem Sparhaushalt zu.

Die französischen Beamten, die sich bereits im laufenden Jahr mit einer Lohneinfrierung abfinden mußten, reagierten schockiert. Ihre Gewerkschaften nutzten die Gelegenheit, umgehend den gestrigen Streiktag anzukündigen. Die Lehrer, die von den Stellenstreichungen besonders betroffen sind, preschten sogar schon Ende September mit einem ersten Proteststreik vor.

Tatsächlich ist der Verlust von 7.000 der insgesamt weit über vier Millionen Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst aber nur einer der Gründe fur den Streik. Daneben verunsichern die umfassenden Privatisierungen des traditionell starken staatlichen Sektors der französischen Wirtschaft die Beamten. Auch hinter dieser Politik steckt die Europäische Union, die eine Liberalisierung der Wirtschaft verfolgt.

Jüngstes Privatisierungsbeispiel ist der vorgestern veröffentlichte Verkauf des Rüstungskonzerns Thomson. Auch die für die nächsten Jahre geplante Umstrukturierung des gesamten militärisch-industriellen Komplexes, die mehrere tausend Arbeitsplätze kosten wird, geschieht als Vorbereitung auf Privatisierungen.

Das Stichwort „Maastricht“ und das Modewort „Globalisierung“ sind zu Synonymen für sozialen Rückschritt geworden. Neben Privatisierungen und Sparhaushalten setzten die Franzosen auch die Massenarbeitslosigkeit in diesen Zusammenhang.

Trotz zahlreicher Vergünstigungen an Arbeitgeber, die Neueinstellungen vornehmen, und trotz der Legalisierung von prekären Arbeitsverhältnissen und immer kürzeren Verträgen hat Juppé auch auf diesem Gebiet nur Rückschläge zu verbuchen: In diesem Jahr ist die Arbeitslosenzahl beinahe allmonatlich weiter gestiegen. Im April lag sie bei 12,3, im Mai bei 12,4, im Juli bei 12,5 und im August bei 12,6 Prozent. Hinter diesen Statistiken verbergen sich 3,1 Millionen Menschen. Jeder Franzose kennt mehrere davon. Keine Familie ist verschont geblieben.

Frankreich ist damit zwar keine Ausnahme im Kreis der Industrienationen – aber doch eine der am stärksten betroffenen. Die zaghaften Versuche der Franzosen, das Thema auf die Agenda der Gruppe der sieben reichsten Industrienationen und anderer internationaler Foren zu setzen, scheiterten sämtlich. Der G 7-Gipfel in Lyon trug im Gegenteil seinen Mitgliedern auf, alles zu tun, um den Welthandel zu verbessern – auch wenn diese Umstrukturierungen „zunächst die Arbeitslosigkeit noch erhöhen würden“.

Auch in der EU, wo die französische Regierung mehrfach die Forderung nach gemeinsamen Sozialstandards für den Welthandel und nach einer Sozialcharta erhob, holte sie sich Abfuhren. „Protektionismus widerspricht der Integration“ lautet dort das Credo, das unter anderem die Bundesregierung heftig verficht.

Vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit und des Stellenabbaus im öffentlichen Dienst wirft der 1997er Sparhaushalt zahlreiche Fragen auf. So ist es den meisten Franzosen ein Rätsel, woher im kommenden Jahr das Arbeitslosengeld und woher die Finanzierung für die hochverschuldete Sozialversicherung überhaupt kommen sollen. Dorothea Hahn