■ Wahlen in Nicaragua. Die Sandinisten waren einst die Lieblingshelden der Linksalternativen. Und heute?: Blick zurück (fast) ohne Zorn
In Nicaragua wird gewählt, und niemand sammelt Spenden, niemand fordert: „Farbe bekennen – den Wahlkampf der Sandinisten unterstützen!“ Die Solidaritätsbewegung, die noch am 25. Februar 1990, dem letzten Wahltag in Nicaragua, darauf hoffte, daß wenigstens im fernen Zentralamerika die Geschichte einen anderen Verlauf nehmen würde, gibt es nicht mehr. Nicaragua hat ausgedient.
Als Erich Fried Mitte der 80er Jahre in einem Gedicht schrieb, „daß es in aller Welt um Nicaragua geht und daß man Nicaragua überall helfen muß“, da traf dieses – nach „eins, zwei, viele Vietnams“ knapp 20 Jahre zuvor – gar nicht mehr so originelle Pathos auf offene Ohren bei Tausenden vornehmlich jungen Menschen in den Industriestaaten und in Lateinamerika. Für den Autor dieses Textes etwa war der Berliner Mauerfall im November 1989 ein bemerkenswertes Ereignis – aber die Wahlniederlage der SandinistInnen drei Monate später eine Katastrophe. Die „Projektion“ der eigenen Revolutionsträume auf fremde Länder, wie es die Bewegung alsbald selbstkritisch formulierte, war dabei gar nicht an sich das Problem. Auch „Revolutionsromantik“, die der Bewegung gern vorgeworfen wurde, trifft nicht den Kern. Warum sich nicht von dem Enthusiasmus einer politischen Bewegung in einem fremden Land anstecken lassen? Warum nicht tatsächlich auch von Nicaragua lernen, wie es etwa in der ehemaligen DDR die kirchliche „Initiative Hoffnung Nicaragua“ gemeint hatte, die vom nicaraguanischen Bündnis zwischen Befreiungstheologie und Revolution auch Veränderungen der staatlichen Dogmen im Realsozialismus erhoffte? Und warum nicht heute in den unorthodoxen Texten des zapatistischen Subcomandante Marcos Ansatzpunkte für eine linke Öffentlichkeitsarbeit in den neunziger Jahren sehen? Der Fehler war ja nicht, für eine Sache wie die sandinistische Revolution Nicaraguas zu kämpfen. Der Fehler war, das eigene politische Schicksal an das der sandinistischen Comandantes zu knüpfen – und dann über all dem Kampf nicht mehr hinzugucken, was da im sandinistischen Nicaragua wirklich vor sich ging.
Keine neues Problem. Brecht hatte in seinen „Thesen für proletarische Literatur“ formuliert: „Tue alles, um die Sache deiner Klasse vorwärtszubringen, die die Sache der ganzen Menschheit ist, aber laß nichts aus, weil es zu deinen Folgerungen, Vorschlägen und Hoffnungen nicht paßt, verzichte lieber auf eine solche Folgerung in einem speziellen Fall als auf eine Wahrheit.“ Die internationale Solidaritätsbewegung hielt es hingegen eher mit Brechts „Lob des Revolutionärs“, fragte die Meinung, woher sie kommt – und die Kritik am sandinistischen Regime kam von rechts. Tausende von solidarischen Arbeitsstunden wurden investiert, um detailliert nachzuweisen, daß die Medienkampagne der Reagan-Administration zur Rechtfertigung des schmutzigen Krieges gegen Nicaragua zum Beispiel das Menschenrechtsthema lediglich aufbausche; ja, sicher gebe es mitunter Menschenrechtsverletzungen auch von den SandinistInnen, aber der Krieg der USA ... Und so weiter, der ganze Sermon, der noch heute von manchen Kuba-Gruppen dahergebetet wird. Die Linke, die deutsche zumal, scheint immer nur ein „Ganz oder gar nicht“ zu kennen.
Für die einen ist heute schon der Verweis auf ungerechte Weltwirtschaftsstrukturen als Ursache für Armut und Hunger nur noch pc und deshalb out – in ist, was sich ökonomisch rechnet. Für die anderen bleiben die Barrikaden zwischen oben und unten so klar wie eh und je – und selbstverständlich auch die Seite, auf der man sich selbst verortet, auch wenn das heute vielleicht nicht mehr „Klassenstandpunkt“ genannt wird. Pragmatische Umgestaltungsversuche innerhalb des Systems à la „rheinischer Kapitalismus“ haben nichts Visionäres, nichts von Opposition, Aufbruch, Neugestaltung.
So ist niemand in der Lage, das auszulösen, was die diskontinuierliche Geschichte der Linken immer weiterentwickelt hat – Bewegungen, in denen gelernt wird, in denen eine eigene Dynamik entsteht. Die linke Solidaritätsbewegung geißelte sich später oft, weil sie sich daheim als Außenseiter fühlte und in ihrer eigenen Kultur nicht heimisch wurde. Daraus wurde der Schluß gezogen, zunächst von sich selbst ausgehen zu müssen, bevor in Nicaragua oder sonstwo der Motor neuer Entwicklung ausgemacht werden könne. Das Ergebnis war das Verschwinden des Kollektiven – man ging von sich selbst aus, und das total. Der größte Teil der Solidaritätsbewegung verschwand als politisch wahrnehmbarer Faktor von der Bildfläche, der kleinere Teil wandelte sich zu Entwicklungshilfeorganisationen, die sich zum Ziel setzten, „die Dritte Welt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen“. Damit ist, was als Nicaragua-Solidaritätsbewegung begann und zum Teil personalidentisch war mit Friedens- und Anti-AKW-Bewegung, mit Häuserkampf und IWF- Kampagne, aufs gesellschaftsverträgliche Maß reduziert. Der institutionalisierte Rest der Bewegung tut niemandem mehr weh.
Die Solidarität mit Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“, ob nun Vietnam 68 oder Zentralamerika in den 80ern, entstand, wenn Freund und vor allem Feind klar auszumachen waren. Die Bewegung lebte von der Provokation. Als Nicaraguas Comandante Tomás Borge 1989 auf einer großen Veranstaltung in Berlin ausrief: „Und wenn die Yankees militärisch intervenieren, dann müssen sie nicht nur Flugzeuge mit Bomben mitbringen, sondern auch Flugzeuge, um ihre Leichen wieder mitzunehmen!“ da tobte der Saal vor Begeisterung – dabei hatten die NicaraguanerInnen selbst längst die Nase voll vom Krieg, wie sie in den 1990er Wahlen deutlich zeigten.
Der Großteil der alternativen Linken hat heute aufgehört, die Kämpfe fremder Völker für eigene Identitätsstiftung zu mißbrauchen. Das ist gut so. Bloß: Sie hat keinen Ersatz gefunden. Abwehrkämpfe gegen die Folgen ökonomischer „Sachzwänge“ zu führen erweist sich als ungleich schwieriger als die Unterstützung einer sympathisch daherkommenden Revolution, die den „neuen Menschen“ zu schaffen gedenkt. Auch die einstigen Revolutionäre in Nicaragua haben von Heilsversprechen Abstand genommen und ihren Frieden mit der Privatwirtschaft gemacht. Niemand erwartet und niemand verkündet eine soziale Revolution im Falle eines sandinistischen Wahlsieges. Nicaragua ist überall. Aber ganz anders, als Erich Fried sich das einmal gedacht hatte. Bernd Pickert
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