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Futter für den geliebten Weltschmerz

■ Neue Klang-Objekte von Rolf Julius in der Galerie beim Steinernen Kreuz

Freitagabend. Endlich war es wieder soweit: Menschenmassen wogten dichtgedrängt durcheinander, und man traf Hinz und Kunz. Nein, die Rede ist nicht vom Freimarkt, sondern von der Galerie beim Steinernen Kreuz, wo sich die Kunstinteressierten zusammenfanden, um einen jener wenigen wirklich bedeutenden Künstler zu feiern, den die Bremer Kunsthochschule einst hervorgebracht hat: Rolf Julius. Der Schöpfer des so kläglich unverstandenen Klangbogens auf der Bürgerweide präsentierte bei Brigitte Seinsoth neue Zeichnungen und Objekte. Deren faszinierendstes: Das „Steinfeld“, ein Quadrat aus 8 x 8 kleinen Granitquadern, dem in bekannter Juliusscher Manier leise nuschelnde Töne in den ansonsten fast leeren Raum entströmten. In weiser Voraussicht auf die Gefährdung des Kunstwerks durch die Unachtsamkeit der Menge war der Raum am Eröffnungsabend allerdings durch ein Seil abgesperrt. Was die Galeristin gleich zu der Aufforderung an die BesucherInnen nutzte, doch wiederzukommen, wenn in der Galerie nichts los ist. Denn erst dann „werden Sie hören, wie die vertraute Klangwelt verändert wird und sich der Raum durch die akustische und visuelle Skulptur weitet.“

Daß die Absperrung tatsächlich kein PR-Gag, sondern dringend erforderlich war, konnte man kurz darauf immer wieder beobachten: Ein im vorderen Teil der Galerie frei im Raum hängender Lautsprecher (sowas darf bei Julius einfach nicht fehlen) wurde beinahe im Minutentakt vom drängelnden und schiebenden Publikum angerempelt, so daß die Galeristin ständig mahnen mußte, das „Lied für die Fische“ – so der Titel – doch bitte nicht gleich aus lauter Schusseligkeit von der Decke zu reißen. Ein Schicksal der Mißachtung, das so einige Werke an diesem Abend teilten. Denn die sanft wispernden, plätschernden und knisternden Klangskulpturen gingen nach allen Regeln der Kunst im interessierten Gelärme unter.

Aber zum Glück wurde ja noch eine stattliche Anzahl von Werken präsentiert, für deren Rezeption nicht notwendigerweise akustische Stille, sondern nur mentale Kontemplation erforderlich ist: Kleine Zeichnungen aus schwarzer Tusche, deren reduzierte Ästhetik teilweise von gekritzelten Sätzen des Künstlers ergänzt werden. „Diese Zeichnung ist richtig trotzig“, heißt es da etwa unter zwei auslaufenden schwarzen Klecksen oder „can you hear the cracks in the stones“ in einer Zeichnung, die mit hinreißend klarer Strichführung vier Steine zeigt. Letztere gehört zur Serie „Borego Desert“, in der sich die spielerische Melancholie der Juliusschen Kunst so genüßlich offenbart, daß man die vier Exponate als nie ausgehendes Futter für den eigenen geliebten Weltschmerz am liebsten sofort mit nach Hause nehmen würde, hätte man das nötige Geld.

Doch besäße man sie, man müßte das „Steinfeld“ für DM 22.000 eigentlich gleich noch dazukaufen. Denn zwischen ihm und der „Desert“-Serie wird in der Ausstellung eine überaus spannungsgeladene Korrespondenz erzeugt, von der beide Seiten eine fast magische Bereicherung erfahren.

Die Wirkung von Julius' Werken als „Katalysatoren für die gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber den Dingen, die uns umgeben“ – wie es in einem der neueren Kataloge treffend heißt – läßt sich aber auch erst jenseits vom Eröffnungsgewusel erleben. Was wohl auch ein Großteil der BesucherInnen beherzigte. Jedenfalls stürzten sich die meisten schnell wieder weiter in das Galeriekarussell, das an diesem Freitagabend – im schönen Kontrast zum Freimarkt – mit einer regelrechten „Eröffnungsrallye“ lockte: Bei Cornelius Hertz gab's die politische Kunst der „Flucht (wege)“, bei Steinbrecher „Jochen Samson“, in der Galerie Gruppe Grün die Video-Installation „Blooming, while we are sinking“ und, und, und... Bremen im Galeriefieber, wie es kaum eine Kunstmetropole besser kann. Moritz Wecker

„Rolf Julius – Objekte und Zeichnungen“ in der Galerie beim Steinernen Kreuz, bis 23. 11.

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