: Power Ranger im Elfenlook
Gesichter der Großstadt: Der Modemacher und Stylist Kim Suckle will mit seiner „Honeysuckle Company“ eine neue Androgynität schaffen ■ Von Tobias Rapp
Berlin hat zwar eine Menge junger ModemacherInnen. Doch wirklich Eigenständiges, Spektakuläres gar, ist selten. Zuletzt läuft alles auf die immer gleiche Clubwear-Tristesse hinaus. Die „Honeysuckle Company“ ist die große Ausnahme. Jung, frisch und lustig strahlen sie genau den Spaß und die Experimentierfreude aus, die der auf Coolness und Distinktion bedachten Club- und Modeszene längst abhanden gekommen ist. Auf langweiliges Spezialistentum wollen sie sich nicht festlegen lassen. Sie machen Mode, Film, Musik, Malerei, Puppen, Performance, Copy-art und Installationen. Meist alles auf einmal.
„All die verschiedenen Sachen verbindet ein bestimmter Geschmack“, sagt Kim Suckle, 19 Jahre jung, der Modemacher und Stylist der Company. „Es geht um den Honeysuckle-Lifestyle.“ Zwischen den Kapuzenpullovern und Röckchen des Berliner Nachtlebens sehen die acht Suckles aus wie außerirdische Power Ranger im Kampf gegen den Einheitslook.
„Im Moment sind wir alle ziemlich auf Jugendstil“, sagt Kim. Schon das Wort „Jugendstil“ sei interessant. Mit den ätherisch-organischen Schönheiten eines Egon Schiele haben seine Entwürfe allerdings genausowenig zu tun wie mit dem gängigen Schönheitsideal großer schlanker Frauen. Jugendstil heißt für die Honeysuckles Elektro-Elfen aus dem All. Kims Zeichnungen ähneln einer Mischung aus Kinderzeichnung und Comic. Die Figuren haben große Füße, runde Köpfe und kurze Beine. Für Kim ist es an der Zeit für diese Art von Mode. Die alten Ideale sind für ihn schlicht langweilig geworden.
Ihm geht es um eine neue Form von Androgynität. In seiner Mischung aus Offenheit und Eigenbrötlerei hat Kim eine genaue Vorstellung, was er will und was nicht. „Ich kann diese Modelbäuche nicht mehr sehen, da nähe ich mir lieber ein Teddybärfell aufs Hemd.“ Den Honeysuckles geht es nicht um das Spielen mit Geschlechterbildern, sondern um das Schaffen eines neuen künstlichen Körpers. Aussehen wie ein elektrisches Stofftier statt die immergleichen Klischees zu wiederholen. „Ich begreife das, was ich mache, weniger als Kreation, sondern mehr als Transformation“, beschreibt Kim Suckle seine Arbeit.
Vor zwei Jahren kam Kim aus Offenburg nach Berlin und begründete mit Frieda Korn die „Honeysuckle Company“. „Am Anfang stand die Idee, alle Dinge, die einem gefallen anzuziehen“, erklärt Kim, „jeder sollte seine eigene wandelnde Galerie sein.“ Also schnitten die Honeysuckles Bilder aus ihren Lieblingscomics aus und klebten sie auf ihre Jacken. Als der erste durchsichtige Gameboy auf den Markt kam, begann Kim die Platinen zu kopieren und sie ebenfalls in die Kleidung zu integrieren. Die Klamotten selbst kamen vom Flohmarkt, quer durch die Jahrzehnte und quer zu den ursprünglichen Verwendungszwecken. Ein großmütterlicher Rock aus den Sechzigern, kombiniert mit einem Batman-T-Shirt aus den Achtzigern, einem Oma-Jäckchen und einer Kinder-Hasenohren- Mütze. Anstatt zu nähen, klebten die Honeysuckles ihre Sachen mit Gaffa-Tape, extrem haltbaren Klebestreifen, zusammen.
Unter dem Motto: „Los jetzt, Raumfahrpunk!“ trat die „Honeysuckle Company“ bei der AVE 1994 an. Performances an diversen Orten folgten. Bald stieß der Experimental-Techno-Punk-Musiker Captain Space Sex dazu, und Musikmachen wurde ein wichtiger Bestandteil des Honeysuckle-Universums. „Batterie On/Off“, die Honeysuckle Hausband benutzt ausschließlich elektronisches Kinderspielzeug als Instrumente. Und mit der Fotografin Simgil hielten auch Film und digitale Bildbearbeitung Einzug. Die Aktionen der Gruppe glichen meist großen Happenings. Jeder Honeysuckle brachte trashige Klamotten, halbdefekte Elektronik, Klebeband und Stifte mit. Mit dem Material veränderten sie sich und den Raum. Mit hautfarbenem Tape klebten sie sich die Augenbrauen und Münder ab und schminkten sich neue Gesichter. Die Kleidung und die Elektronik kombinierten sie zu blinkenden, musikmachenden Space-Uniformen. Doch weil sie kein Geld hatten, um sich Räume zu mieten, waren die Aktionen meist auf ihre Auftrittsorte beschränkt.
Seit ein paar Wochen ist das nomadische Leben der Gruppe vorbei. Die Company hat jetzt einen Raum. Für Kim Suckle geht es nun darum, die verschiedenen Kräfte zu bündeln und eine neue Form für all die Aktivitäten zu finden. Außerdem plant er seine erste Kollektion. Dafür hat er sich mit einer ausgebildeten Modedesignerin zusammengetan. Diesmal sollen die Kleidungsstücke genäht werden. Kim schwebt „etwas Klassisches“ vor: „Die Honeysuckle-Konfektüre soll man einfach anziehen können.“
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