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Ein allzu weiches Instrument der Umweltpolitik

Die vor eineinhalb Jahren in Kraft getretene Öko-Audit-Verordnung hat große Erwartungen erweckt. Doch in Wirklichkeit ist das Interesse von Unternehmen, sich auf ihre Umweltverträglichkeit prüfen zu lassen, sehr verhalten  ■ Von Eva-Maria Lecker

Die Erwartungen waren hoch geschraubt, die Versprechungen groß. Die erstmalige Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie auf breiter Basis sollte durch die EG- Öko-Audit-Verordnung geleistet werden. Eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten der europaweit einheitlichen Regelung fällt das Resümee eher bescheiden aus.

„Anfangs war der Werbeeffekt für die Unternehmen riesengroß“, erklärt Elke Kölln-Möckelmann, Organisatorin der Öko-Audit- Seminare beim Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewußtes Management (B.A.U.M.). „Es wurden Preise für die ersten zertifizierten kleinen, mittleren und großen Betriebe verliehen, in der Presse wurden die ersten nord- oder süddeutschen Unternehmen bekanntgegeben, die jeweils ersten Branchenvertreter öffentlich belobigt.“

Seitdem ist „offensichtlich die Luft raus“. Dreimal pro Jahr veranstaltet B.A.U.M. einen neuntägigen Lehrgang zur Qualifizierung von Umweltauditoren. Das Interesse der Unternehmer ist hier, wie auch bei anderen Veranstaltern, eher verhalten.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Axel Valentiner- Branth, Chef der Hamburger Branth-Farben-Fabrik, stört vor allem ein Punkt im System. Für ein Öko-Audit muß jedes Unternehmen zunächst eine standortbezogene Umweltpolitik erarbeiten. Welche Gifte werden in die Umwelt abgegeben, wieviel Müll entsteht, und was wissen die Beschäftigten über die ökologischen Folgen ihrer Produktion beispielsweise?

Im anschließenden Umweltprogramm werden dann die Ziele und Maßnahmen festgelegt, die mit Hilfe eines sogenannten Umwelt- Management-Systems verwirklicht und dann geprüft werden.

„Dabei zählen nur zukünftige, nicht aber bereits durchgeführte Umweltschutzmaßnahmen“, erklärt Valentiner-Branth sein Unbehagen. „In unserem Fall etwa der Wegfall von Sonderabfall, der Verzicht auf lösungsmittelhaltige Farben oder Gefahrstoffe. Für uns hieß das, daß zu Beginn des Audits kaum noch ein verbesserungswürdiger Bereich übriggeblieben wäre.“ Da das System vorgibt, daß vor allem der zurückgelegte Weg und nicht die Endergebnisse geprüft werden, bedeutet das, daß Unternehmen, die bislang wenig Umweltschutz betrieben, es viel einfacher haben, Ziele und Programme im Sinne der Audit-Verordnung aufzustellen und gut abzuschneiden.

Seit 1. April 1995 ist die EU-einheitliche Richtlinie zum Öko-Audit in Kraft. Statt strenger Umweltabgaben, Verbote und Umweltlizenzen beschloß man damals, ein weiches Instrument der Umweltpolitik einzusetzen.

Doch genau für diese freiwillige Selbstverpflichtung sei noch keine gesellschaftliche Kultur vorhanden, so die Erfahrung des Unternehmensberaters Dieter Großmann. „Es gibt die ganz großen Unternehmen, die die Verbindung von Ökonomie und Ökologie als zukunftsfähig, rentabel und werbeträchtig betrachten, und kleine Betriebe, die oft aus idealistischen Gründen mitmachen. Aber für das Gros der Unternehmer ist Umweltschutz nach wie vor ein Begriff, der sehr stark mit negativen Vorurteilen belastet ist, wurde er doch jahre- und jahrzehntelang vom politisch linken Lager propagiert.“

Hinzu komme, so Großmann, daß Unternehmer fest überzeugt sind, betriebswirtschaftlich bereits optimal zu arbeiten. Die Notwendigkeit einer systematischen Überprüfung, einer detaillierten Bestandsaufnahme im Rahmen des Öko-Audits, um Energie-, Nachsorge-, Abwasseraufbereitungs- und Entsorgungskosten zu sparen, werde meist nicht gesehen.

Über 300 Unternehmensstandorte sind bislang europaweit zertifiziert, mehr als zwei Drittel davon befinden sich in Deutschland, wie die Deutsche Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter (DAU) in Bonn meldet. Der Großteil der zertifizierten Betriebe kommt aus den Branchen Ernährung, chemische Industrie und Maschinenbau.

Hermann Hübels, Umweltreferent der DAU, räumt ein, daß der Anteil der zertifizierten Unternehmen „rein statistisch gesehen verschwindend gering ist“. Dennoch ist er optimistisch, daß durch die Vorteile, die das Öko-Audit zu bieten hat, die Zahl der Anmeldungen in Zukunft stark ansteigen wird. „Potentielle Interessenten, also Unternehmer, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, haben wir viele“, so Hübels, „doch sie sind vorsichtig, wollen erst mal abwarten, welche Erfahrungen die anderen machen.“

Wer von einem zugelassenen Umweltgutachter seine Umwelterklärung erfolgreich prüfen ließ und in der örtlichen Handelskammer registriert ist, kann sein Unternehmen mit dem europäischen Umweltmanagementzeichen schmücken. Das Problem: Alljährlich muß eine vereinfachte Umwelterklärung erstellt werden, alle drei Jahre wird das gesamte Unternehmen erneut auf die kontinuierliche Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes durch einen externen Gutachter geprüft.

Wäre ein Betrieb aufgrund wirtschaftlicher Probleme nicht in der Lage, beispielsweise alte und stromfressende Maschinen durch ökologisch fortschrittliche zu ersetzen, würde das EU-Öko-Siegel nach drei Jahren wieder entzogen. Diese peinliche Vorstellung des Imageverlusts in der Öffentlichkeit scheint die meisten Unternehmer derart abzuschrecken, daß sie mit dem Öko-Audit erst gar nicht beginnen.

3M, der milliardenschwere US- Mischkonzern mit den Scotch- Kassetten und Videobändern und den selbstklebenden Merkzetteln fürs Büro, hat seine Betriebe in Kamen, Hilden und Hamburg 1994 und 1995 erfolgreich zertifizieren lassen. Ob man beim Öko- Audit mitmache oder nicht, sei letztlich eine Frage der Unternehmensphilosophie, meint Umweltschutzbeauftragter Gerd Passehl.

„Die Kosten für das Öko-Audit beliefen sich bei uns etwa auf 40.000 Mark“, erläutert er. „Durch eine stark veränderte Produktionsbilanz konnten wir beträchtliche Kosten einsparen, wie am Standort Kamen deutlich wird: Die Gesamtabfallmenge wurde in den letzten Jahren von 1.182 Tonnen auf 897 Tonnen reduziert, anfallende Sonderabfälle konnten um 55 Prozent gesenkt werden. Durch Abfallseparierung und -verwertung stieg die Gesamtmenge der wiederverwertbaren Materialien wie Kunststoffe, Papier, Metalle und Holz auf 721 Tonnen. Der Einsatz von alternativen Energieträgern wurde geprüft, konnte aber bislang nicht realisiert werden. Wir arbeiten weiterhin mit Gas und Strom.“

Insgesamt muß sich das Öko- Audit für die deutsche Tochter des Riesenkonzerns wohl gelohnt haben, denn auch der vierte deutsche Produktionsstandort des Konzerns in Borken soll demnächst zertifiziert werden. Das Fazit von Gerd Passehl: „In puncto Mitarbeitermotivation war das Öko-Audit ein voller Erfolg. Die meisten Kollegen stehen betrieblichen Umweltschutzmaßnahmen sehr positiv gegenüber, viele waren sogar richtig begeistert. Zusätzliche Personalkosten entstanden uns deshalb nicht.“ Was er aber kritisiert, betrifft die Auftragsvorteile, die von der Politik vollmundig angekündigt wurden. „Solange der Staat kein öffentliches Zeichen setzt, indem etwa Behörden zertifizierte Unternehmen bei der Auftragsvergabe bevorzugen und das dann für alle deutlich durch die Presse geht, so lange werden sich auch nicht mehr Betriebe am Öko- Audit beteiligen.“

Mit Argumenten für oder gegen das Öko-Audit muß sich auch Elke Kölln-Möckelmann von B.A.U.M. auseinandersetzen. „In den Seminaren, in denen wir Führungskräfte, Unternehmensberater oder Umweltschutzbeauftragte auf das Öko-Audit vorbereiten, müssen wir oft feststellen, daß gerade kleine und mittlere Unternehmen die gesetzlichen Umweltschutzvorschriften für unannehmbar halten.“

Vor allem in Zeiten der Rezession ist es offenbar nicht sonderlich schwer, sich davor zu drücken. Stellen beispielsweise die Gewerbeaufsichtsämter bei den angekündigten Kontrollbesuchen fest, daß der Betrieb gesetzwidrig Schmutzwasser in die Abwässer einleitet und eine Kläranlage anzuschaffen ist, reicht meist schon die Drohung, die Anschaffungskosten würden den Standort und somit Arbeitsplätze gefährden.

Die Unternehmen erwirken so Sondergenehmigungen und verschieben die umweltverträgliche Investition auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. „Sollten doch Bußgelder anfallen, können die meist auch aus der Portokasse bezahlt werden“, beklagt Elke Kölln- Möckelmann. Nicht nur Umweltschutzorganisationen fordern deshalb, der rechtliche und wirtschaftliche Druck müsse verschärft werden, um Ökologie und Ökonomie tatsächlich flächendeckend in Einklang zu bringen.

Europa Carton, ein mittelständisches Unternehmen mit deutschlandweit 2.450 Mitarbeitern, hat sich bewußt gegen das Öko-Audit entschieden. Jürgen Feldgen, Leiter Umweltschutz, erklärt die Gründe: „Die in Deutschland gültige Umweltgesetzgebung ist meiner Meinung nach besser als ihr Ruf – sie muß nur eingehalten werden. Daß dies durch das EU-Audit gewährt wird, bezweifle ich stark, schließlich werden die Umweltgutachter der DAU für äußerst unterschiedliche und komplexe Bereiche akkreditiert.“

Feldgen hat die Erfahrung gemacht, daß gezieltes Streben nach ökologischen Verbesserungen kurz- oder langfristig immer ökonomische Vorteile mit sich bringt. Doch dafür braucht man kein offiziell anerkanntes Umweltsiegel. Den Verbrauchern bescheinigt Feldgen tatsächlich ein hohes Umweltbewußtsein. „Wie aber Studien beweisen, wird nach wie vor der Kauf über den Geldbeutel entschieden. Mit umweltverträglichen Produktionsverfahren, Lagerung oder Transport gewinnen Sie kaum einen Käufer hinzu.“

Vor übersteigerten Erwartungen warnt Hans-Peter Wruk, Hamburger Unternehmensberater und Umweltgutachter. „Wenn man bedenkt, wie lange die Zertifizierung des Audits vorbereitet werden muß, stimmt mich die Zahl der zertifizierten Unternehmen in Deutschland optimistisch. Auch im europäischen Ausland wird sich die Notwendigkeit eines globalen ökologischen Denkens noch durchsetzen, aber alles dauert eben seine Zeit.“

Jedoch bereitet ihm der bürokratische Aufwand Sorge, den das Audit erfordert. „Ich kenne hemdsärmelige Unternehmertypen, die sozusagen nebenbei Einwegverpackungen durch Mehrwegverpackungen ersetzen, Energiesparlampen einführen und gebrauchte Elektrogeräte stofflich oder energetisch verwerten. Sie leisten zweifellos viel für den Umweltschutz, scheuen aber den Aufwand, all dies auch säuberlich zu dokumentieren.“ Zu fordern sei deshalb, daß die tatsächlichen Leistungen im Umweltschutz stärker bewertet würden als die Systemprüfung durch das Audit, damit durch den bürokratischen Aufwand nicht mehr so viele Unternehmer abgeschreckt werden.

Vorsichtig stimmen interessierte Unternehmer auch die Kosten: Zwischen 200 und 1.000 Mark pro Mitarbeiter kostet das Audit nach vorsichtiger Schätzung der Bonner DAU. Es gebe einfach noch nicht genügend Erfahrungswerte. In den Genuß von Fördermitteln kommen große Unternehmen nur in Ausnahmefällen, kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern erhalten durchschnittlich 60 Prozent der Gesamtkosten vom jeweiligen Bundesland erstattet.

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