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Antike Rolltreppen und die Bombe unterm Sitz

■ U-Bahn-Fahren ist nicht ohne Risiko, Unfälle und Anschläge endeten tödlich

Die Wertschätzung der Briten für Antiquitäten ist groß – und zuweilen verhängnisvoll: Am 19. November 1987 läuft eine fast fünfzigjährige hölzerne Rolltreppe in der Londoner U-Bahn-Station King's Cross heiß und fängt Feuer. Der belebte Bahnhof wird zum flammenden Inferno, dreißig Menschen verbrennen oder ersticken im Qualm, es gibt über fünfzig Schwerverletzte. Als eine der ersten am Unglücksort: Premierministerin Margaret Thatcher, der die Londoner Verkehrsbetriebe in jenem Jahr Etatkürzungen in Höhe von 14,5 Millionen Pfund zu verdanken haben. Ein strikter Sparkurs ist angesagt bei den „day to day running costs“ – und russisches Roulett bei der Sicherheit.

Dabei hatten sich die Londoner in ihrer „Tube“ (Röhre) stets ganz wohl gefühlt. Im Zweiten Weltkrieg dienten die Tunnel als Luftschutzkeller. Was Gewaltdelikte angeht, nimmt sich Londons Underground, verglichen etwa mit New York, geradezu friedlich aus. Selbst die IRA scheint vor der altehrwürdigen Einrichtung Respekt zu haben und hält sich mit Anschlägen zurück.

Doch auch schon vor dem King's-Cross-Desaster waren Tote zu beklagen: 1938 starben sechs, 1953 zwölf Menschen bei Zugkollisionen. Nahe der Station Moorgate donnerte die Bahn 1975 gegen ein Tunnelende. Bei diesem bis dahin schwersten Unfall in der Geschichte der Londoner U-Bahn kamen 43 Menschen ums Leben.

Die Pariser Metro hat ihr „annus horribilis“ 1995, als eine Attentatsserie die Stadt in Angst versetzt: Am 25. Juli, mitten im Feierabendverkehr, detoniert in der Station St. Michel ein Wagen. Sieben Menschen sterben, 84 werden verletzt. Die Behörden gehen von einem Terrorakt aus. Als Schuldige sind zunächst Serben oder Atomtestgegner ausgemacht, dann aber ortet man die Drahtzieher unter den Radikalislamisten in Algier. Anlaß für die Welle der Gewalt ist ein geplantes Treffen zwischen Jacques Chirac und dem algerischen Präsidenten Zéroual. Um die Bevölkerung zu beruhigen, werden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Die Papierkörbe in den Metrostationen werden verplombt, Taschen kontrolliert. Wer aus dem Maghreb stammt, wird von den Mitreisenden mißtrauisch beäugt.

Am 17. Oktober ist es wieder soweit: Diesmal erwischt es die Linie C zwischen den Stationen Musée d'Orsay und St. Michel. Der Zug ist proppenvoll, die Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit. Wieder ist es eine präparierte Campingflasche, die unter einem Sitz detoniert. Dreißig Passagiere werden zum Teil schwer verletzt, doch niemand muß sterben.

Die große Politik ist es auch, die 1996 die Moskauer Untergrundbahn in Mitleidenschaft zieht. Vier Menschen kommen ums Leben, als am 12. Juni in einer Metro eine Splitterbombe zündet. Rußland steht in jenen Monaten vor den Präsidentschaftswahlen, doch die Angst vor Attentaten hat die Menschen schon mit Ausbruch des Tschetschenienkrieges erfaßt. Die politischen Kräfte des Landes, rechts wie links, wollen aus den Terrorakten ihren Nutzen ziehen. Die Moskauer unterdessen verschwenden keine Zeit auf hysterische Reaktionen. Wer von A nach B kommen will, muß nun mal einiges riskieren... Jutta Czeguhn

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