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Besser als kaputtsparen

Das Kennziffernmodell fasziniert die Hochschulszene. Der Senator könnte sparen, das akademische Volk dann mehr mitbestimmen. Ein Essay■ von Christian Füller

Nie war er so wertvoll wie heute, Wilhelm von Humboldt. Der olle Willi entwickelte 1809 ein paar gute Ideen über das Verhältnis von Universität und Gesellschaft („Einsamkeit und Freiheit“) oder Studis und Profs („Sperrt sie zusammen!“). Und er wußte auch vom Geld zu reden.

Das gesamte Schul- und Erziehungswesen, schrieb Humboldt, solle „sich durch ein eigenes Vermögen und durch die Beiträge der Nation erhalte(n)“. Nur dann sei Bildung unabhängig von den Fährnissen, die „die Zahlungen des Staates so leicht durch die politische Lage und zufällige Umstände erfahren“. Die finanzielle Autonomie der Universität blieb unerreicht. Jetzt steht sie auch dort wieder auf der Tagesordnung, wo Humboldt die moderne europäische Universität begründete: in Berlin.

Der Melissengeist für die Uni trägt heute einen furchtbaren Namen. Kennziffernmodell schimpft sich die Idee, die ungefähr so funktioniert: Der Staat mästet die Universitäten nicht mehr mit Globalzuschüssen. Er bezahlt sie statt dessen entsprechend ihrer Leistung. Die wird anhand von Kennziffern wie der Absolventenzahl oder der Qualität der Lehre gemessen. Die Unis sollen zudem künftig selbst die Hand aufhalten dürfen. Sie erzielten dann eigene Einnahmen durch Weiterbildung, Forschungs- und Beratungsdienstleistungen und – hier scheiden sich die Geister – Studiengebühren.

Das Schöne am Kennziffernmodell: Es wirkt so wohltuend wie Melissengeist. (Fast) alle finden es gut. Hochschulplaner, Kanzler, der eine oder die andere Studierende, sogar der Wissenschaftssenator machen es zum Bestandteil ihrer Reformvorstellungen. Peter Radunski (CDU) ist dermaßen angetan, daß er sogleich eine Vereinbarung mit den Unis und den Hochschulforschern aus Hannover (HIS) geschlossen hat. HIS soll binnen eines Jahres die Grundlagen für das Kennziffernmodell beibringen. Das wären: fachspezifische Studienplatzkosten, Studienanfänger- und Absolventenzahlen, Qualitätsparameter für Forschung und Lehre. Und dann kann's losgehen?

Drei bis fünf Jahre, so dämpft Traugott Klose allzu euphorische Erwartungen, wird die Einführung des Modells in Anspruch nehmen. Zuerst muß den Elfenbeintürmen nämlich noch die altehrwürdige Kameralistik ausgetrieben werden. Denn die Unis kalkulieren nach einem antiquierten Haushaltsmodell. Kloses Arbeitgeber, die Freie Universität (FU), ist eine der ersten Hochschulen Deutschlands, die damit Schluß macht. Seit 1995 führt sie eine Kosten- und Leistungsrechnung ein. Die FU bekommt so wenigstens annähernd Informationen darüber, welche Kosten wo anfallen: Wie teuer ist ein Studienplatz? Was kostet die Forschung eines C4-Professors? Wieviel darf die Uni für eine Immatrikulation verlangen?

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Unis könnten eigenständiger wirtschaften als bisher. Die Anschaffung von Computern oder der Bau eines Gebäudes wäre nicht mehr von jahrelangem Gefeilsche um HBFG-Mittel abhängig (Hochschulbaufördergesetz). Die Unis würden in Zeiten, da die öffentlichen Kassen die Krätze haben, moderner, schöner – und kommerzieller.

Wie in den Niederlanden, wo das Modell seit längerem praktiziert wird. Dort residieren selbst sozialwissenschaftliche Fachbereiche in mondänen Neubauten. Aber die Soziologen teilen sich ihr Domizil häufig mit Koffer- und Schlipsträgern. Denn die Uni vermietet das Gebäude an Messeveranstalter. Damit macht sie Cash. Oder sie lebt gleich mit einem Unternehmen in Wohngemeinschaft.

In Berlin verbinden sich mit dem Kennziffernmodell ganz andere Hoffnungen: daß der Staat die Universitäten endlich zur Ruhe kommen läßt. Jeder für sich zwar, aber unisono haben CDU, SPD und Senator Radunski dem akademischen Volk einen Pakt angeboten: Schluß mit dem Streichkonzert – sofern ihr euch dem Leistungsvergleich stellt! Zu deutsch: der Staat fährt seine Grundfinanzierung zwar herunter. Aber er verpflichtet sich gleichzeitig per Vertrag dazu, den Staatszuschuß für die Unis fünf Jahre lang stabil zu halten.

Unter Vertrag versteht freilich jeder etwas anderes: Beim Wissenschaftssenator heißt er Reform- und Sparpakt. Radunski bietet eine „degressive Planungssicherheit“. Will sagen: Die Kürzungen wären für die Unis kalkulierbar.

„Das ist kein Vertrag, das ist Erpressung“, schimpft es hingegen aus den Elfenbeintürmen. Aber selbst kritische Gruppen wie die eher linke Reformfraktion an der Technischen Universität (TU) sind grundsätzlich bereit, einen Pakt mit dem Leviathan einzugehen. Einige der TU-Reformer sehen keine Alternative zu einem Vertragsmodell, weil die Uni sonst in wenigen Jahren kaputtgespart sei. Aber: „Das darf kein Vertrag werden wie zwischen Eltern und einem minderjährigen Kind“, warnt TU-Studiensekretär Bernd Fick.

Deshalb haben die TU-Reformer klare Bedingungen formuliert: Den Vertrag müssen selbständige Partner schließen. Das Eingriffsrecht des Wissenschaftssenators muß fallen, das Erhardtsche Schwert begraben werden: Kein Ernennungsrecht des Senators für Professoren mehr! Schluß mit der Fachaufsicht durch seine Beamten! Aufwertung der Kuratorien – jenen Gremien also, in dem sich Staat und Uni schon jetzt gegenübersitzen und wo sie nun ihren Vertrag schließen könnten.

Das Wichtigste aber dürfte sein, daß Universitäten und Staat gemeinsam ein Verfahren entwickeln, wie denn die vertraglich vereinbarte Leistung zu messen ist. Evaluation heißt das Zauberwort. Bei den Kriterien des Evaluierens hätten die Unis, auch die Studierenden ein Wörtchen mitzureden. Wer sonst könnte einen Qualitätsparameter wie „Studienzufriedenheit“ sinnvoll definieren? Die Evaluation ist ein heilsamer Druck für die Unis, meint Fick: „Der Laden ist dann geradezu gezwungen zu sagen, wo er eigentlich hin will.“ Das hieße gleichzeitig, daß alle Mitglieder der Universität an der Kursbestimmung teilhaben.

Jürgen Habermas stellte Ende der 60er Jahre fest, daß zwei Tendenzen in der Hochschulreform miteinander ringen würden: Die Universität könne ihre Produktivität steigern oder ihre Stellung in der Demokratie behaupten. Die Alternative hat sich gewandelt. Ohne höhere Kostentransparenz und Produktivität büßt die Uni ihre Stellung vollends ein. Das Kennziffernmodell aber enthält, kombiniert mit einem Vertrag unter gleichen, mehr demokratisches Potential, als sich mancher 1968 hätte träumen lassen.

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