: Tropenpflanzen im Exil
In botanischen Gärten besorgen sich Pharmafirmen Pflanzen, um Gewinne nicht mit Entwicklungsländern teilen zu müssen ■ Von Dipankar de Sarkar und Katy Dunlop
In Deutschland bemühen sich immer mehr Pharma- und Chemiefirmen, Pflanzenbestände und Samenbanken der botanischen Gärten für kommerzielle Zwecke auszubeuten. Das beobachten seit einiger Zeit internationale Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie die kanadische Rural Advancement Foundation International (Rafi) und Ecoropa in Bonn. Erst letzten Juni wurde auf einer FAO-Konferenz in Leipzig ein geheimer Vertragsentwurf bekannt. Darin bietet die US-Firma Phytera Pharmaceuticals dem Palmengarten in Frankfurt 15 Dollar pro Pflanze und eine Gewinnbeteiligung von 0,25 Prozent im Falle eines „Volltreffers“ an – also der erfolgreichen Vermarktung eines Heilmittels, das auf Grundlage der genetischen Ressourcen aus den Gewächshäusern entwickelt wurde. Der Palmengarten lehnte jedoch ab.
Auslöser solcher Offerten ist die UN-Konvention zum Schutz der Artenvielfalt, die 1992 in Rio verabschiedet wurde. Sie besagt, daß Privatunternehmen Marktgewinne aus der Verwertung von Pflanzen mit den Herkunftsländern teilen sollen.Das betrifft vor allem die artenreichen Staaten in den Tropen und Subtropen. Wenn Privatfirmen zur Entwicklung von medizinischen Wirkstoffen oder Nutzpflanzen jedoch auf Proben oder Exemplare zurückgreifen, die vor 1992 gesammelt wurden, fallen die Produkte nicht unter die UN- Konvention.
Ein erheblicher Teil der Pflanzenbestände des Londoner Royal Botanic Garden oder des Berliner Botanischen Gartens ist bereits vergangenes Jahrhundert aus den einstigen Kolonien mitgenommen worden. Und auch in späteren Jahren wurde von europäischen Botanikern massenhaft Biomaterial von dort weggeschafft.
Die botanischen Gärten der nördlichen Hemisphäre stellen somit ein Reservoir dar, durch das sich etwa Pharmakonzerne unter Umgehung der Artenschutzkonvention Zugriff auf die tropische Flora verschaffen können. Mehr als drei Viertel aller Pflanzen- und Samensammlungen von Wald- und Heilpflanzen auf der Welt befinden sich in Europa.
Ein wichtiger Grund, warum sich private „Sponsoren“ an diese Bestände heranmachen können, besteht nach Ansicht Rafi-Forscher Edward Hammonds darin, daß das Budget der botanischen Gärten schrumpft. „Regierungen des Südens und indigene Völker, die darauf bedacht sind, an der Nutzung ihrer Artenvielfalt gleichberechtigt beteiligt zu werden, sehen ihre Interessen durch botanische Gärten gefährdet, die selber um Mittel fürs eigene Überleben kämpfen“, sagt Hammond.
In der Tat ist der genetische Pool der großen botanischen Gärten Europas beeindruckend. „Von unseren 20.000 Arten ist etwa die Hälfte subtropischer und tropischer Herkunft“, sagt Thomas Raus vom Botanischen Garten Berlin. Allein 100 Arten tropischer Nutzpflanzen wie Papaya, Maniok, Kokospalme und Kakaobaum gedeihen im größten Gewächshaus des Kontinents. Und im Arzneipflanzengarten sind über 200 Arten kultiviert.
Seit rund einem Jahr kooperiert der Berliner Botanische Garten mit einer Privatfirma. Die in Berlin ansässige AnalytiCon AG bekommt von den Botanikern an der Königin-Luise-Straße getrocknete Pflanzenteile sowohl aus gemäßigten als auch aus südlichen Breiten geliefert. Nach Auskunft von Gartendirektor Werner Greuter dient das Pflanzenmaterial im wesentlichen der pharmazeutischen Forschung. Ob sich für AnalytiCon bereits gewinnversprechende Anwendungen für mögliche Wirkstoffe abzeichnen, weiß Direktor Greuter nicht. Das liege jedoch auch außerhalb seines Interessenbereiches, sagt er. Für den Botanischen Garten komme es darauf an, daß die Zusammenarbeit zu Bedingungen geschehe, „die uns nicht belasten“. Ansonsten sei er als Angehöriger einer hiesigen Universität „gehalten, der deutschen Industrie Vorteile zu verschaffen“. Die US-Firma Phytera war auch bei ihm wegen unannehmbarer Konditionen abgeblitzt.
AnalytiCon stellt dem Botanischen Garten im „Gegenzug Mittel zur Verfügung“ (Greuter), die für das Kooperationsprojekt nötig sind: einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, Materialien und Geräte, die der Garten behalten darf. „Letzten Endes machen wir kein Geschäft“, resümiert Verwaltungsleiter Egon Brüning. Sowohl Greuter als auch Brüning sind sich des Problems der Biokonvention und der „geteilten Gewinne“ durchaus bewußt: Ein Pflanzenscreening der Pharmafirmen auf Wirkstoffe, mit dessen Hilfe das „Copyright der Dritten Welt“ ausgehebelt wird, könne man „nicht ohne weiteres gestatten“, so Brüning. „Allerdings kennt sich keiner so richtig mit den vorhandenen Bestimmungen aus.“
Eine Tagung von Vertretern der deutschen botanischen Gärten im Frankfurter Palmengarten nächste Woche soll Abhilfe schaffen. Die von Frankfurts Umweltdezernent Tom Koenigs angeschobene Beratung wird sich damit befassen, wie Vertragsleistungen zwischen botanischen Gärten und kommerziellen Nutzern aussehen müßten und wie die Länder des Südens an den „Früchten“ solcher Kooperationen beteiligt werden.
Verbindliche Regelungen sind dringend geboten, sprießt doch in den botanischen Gärten des Nordens ein biologisches Potential, das auf dem Weltmarkt Milliardenumsätze einbringen könnte. Wer letztlich in welchem Umfang von den „Pflanzen im Exil“ profitieren soll, wird auch Thema der dritten Konferenz zum Artenschutzabkommen kommenden November in Buenos Aires sein.
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