Die Bohnenkönigin

Gesichter der Großstadt: Cynthia Barcomi weiß, wie man einen anständigen Bagel backt. Seit zwei Jahren: Barcomi's Coffeehouse in der Bergmannstraße  ■ Von Kirsten Niemann

„In bezug auf Kaffee hängt Deutschland den Vereinigten Staaten ungefähr 30 Jahre hinterher.“ Das behauptet zumindest die 33jährige Amerikanerin Cynthia Barcomi. Eine verwegene Aussage. Das finden vor allem diejenigen, die jemals in die verdrießliche Situation kamen, jenes bitter schwelende Abwaschwasser trinken zu müssen, das die Amerikaner Kaffee nennen. Doch den meint Cynthia Barcomi natürlich nicht. Wenn die Barcomi von Kaffee redet, dann meint sie damit jene Kaffee-Kultur, die Anfang der siebziger Jahre in Amerika langsam aufkeimte und sich im vielfältigen Angebot berühmter Kaffeehäuser, wie zum Beispiel der Starbucks-Kette, niederschlug.

Für Kaffeetrinker, die auf Jakobs und Eduscho schwören, hegt Barcomi bestenfalls Mitleid. Nicht umsonst wurde sie kürzlich vom Chefredakteur der englischsprachigen Berlin-Gazette Metropolis (der übrigens ebenfalls Amerikaner ist) zur Queen of the Beans – Bohnenkönigin – gekürt. Doch lieber noch als über Kaffee redet die Amerikanerin über ihr Gebäck. Denn eigentlich haben nicht die Bohnen, sondern ihre legendären Kalorienbomben – wie der Karottenkuchen, die New York Brownies, Muffins und Bagels – das „Barcomi's“ innerhalb von zwei Jahren zu einer der kulinarischen Top-Adressen der Stadt gemacht.

Dabei siedelte Barcomi, die übrigens bereits als 22jährige über ein abgeschlossenes Philosophie- und Theaterstudium verfügte, im verregneten Sommer 1985 nicht etwa von New York nach Berlin, um hier Kuchen zu backen, sondern um zu tanzen: „Ich hatte einmal in New York Pina Bausch gesehen, die fand ich total super“, beschreibt Cynthia Barcomi, die übrigens schon mit fünf Jahren zu tanzen begann, dieses diffuse Gefühl, daß sie nach Berlin zog. „Da wußte ich einfach, daß ich nach Deutschland gehen mußte.“

Ein Entschluß, der ihr anfangs wohl einige Probleme bereitete. Sie kannte hier niemanden, sprach kein Wort Deutsch und wurde obendrein auch noch von Windpocken befallen. „Ich fühlte mich noch nie so einsam und desorientiert“, erinnert sie sich. „Eigentlich fragte ich mich zu der Zeit, was zum Teufel ich hier eigentlich sollte.“

Doch alles änderte sich, als sie mit der Choreographin Frauke Havemann und dem Filmemacher Mark Johnson zusammenkam. Fortan arbeitete sie an verschiedenen Tanztheater-Produktionen, verliebte sich in den Beleuchtungs- Designer Harald Kleps, heiratete ihn und bekam 1988 ihre erste Tochter Esmé.

Cynthia Barcomis wunderbarer Wechsel vom Tanzparkett zum Backofen ergab sich dabei eher zufällig. Weil das Honorar von ihrem Tanzjob nicht ausreichte, war sie gezwungen, zwischen den verschiedenen Tanzproduktionen noch anderweitig Geld zu verdienen. „Eines Tages fragte mich ein Kollege, was ich nach der laufenden Produktion machen wolle, da sagte ich, ich wolle vielleicht ein Kochbuch schreiben.“ Der Kollege machte sich über sie lustig, meinte, es sei für eine Tänzerin unwürdig, ins profane Küchenfach zu wechseln.

„Fuck you!“ lautete Cynthia Barcomis bündige Reaktion und nahm zunächst einen Job im „Pink Cadillac“ an, einem amerikanischen Restaurant in Kudamm- Nähe, das allerdings wenige Monate später pleite machte. Was jedoch kaum an Cynthia Barcomis Backkünsten gelegen haben dürfte. Es folgten regelmäßige Aufträge für die Lebensmittelabteilungen des KaDeWe und von Wertheim.

Obendrein liebte sie, was sie fabrizierte: „Ich hatte die amerikanischen Kuchen so sehr vermißt.“ Besonders während ihrer Schwangerschaft beschlich sie ein Heißhunger auf Cinnammonrolls, Brownies und Muffins. Mit dem unschönen Ergebnis, daß sie 30 Kilo zulegte. „Ich war so dick, daß ich nicht mehr Auto fahren konnte“, gesteht sie, der man ihre figürliche Entgleisung heute kaum glauben mag, „ich paßte nicht einmal mehr hinter das Steuer!“

Nachdem sich 1993 erneut Nachwuchs einstellte, beschloß sie, die Tanzerei endgültig an den Nagel zu hängen und nicht mehr nur für andere zu backen. „Ich brauchte ein Projekt!“ Das Barcomi's.

Am 31. Oktober bezogen sie und ihr Mann das kleine Ladenlokal an der Bergmannstraße, über dem anscheinend ein Pleitefluch lag. Bislang mußte ein Kebab-Imbiß nach dem anderen schließen. Auch in Barcomi's Coffeehouse standen die Dinge zunächst schlecht. „Es gab Tage, da haben wir nur 50 Mark umgesetzt. Doch ich wußte, wir mußten einfach durchhalten. Ich wußte ja, daß unser Gebäck einfach gut ist.“

Mit dem gleichen Eifer, mit dem sie zuvor getanzt hatte, begab sie sich von nun an an den Ofen. Heute ist der Laden ständig voll, und vor Aufträgen kann sich die Amerikanerin kaum noch retten. In der Backstube arbeiten derzeit vier Bäcker über acht Stunden am Tag. Im Januar wird sogar eine zweite, noch größere Filiale in Mitte eröffnet.

Barcomis Erfolgsrezept: „Man muß nur an die Qualität seiner Sachen glauben und sich selber treu bleiben. Am Anfang wollte niemand meine – wirklich exzellente – Kürbistorte essen. Die Leute kannten so etwas nicht, und ich wußte, wenn sie sie erst einmal kennen, werden die die Torte lieben.“ Für Cynthia Barcomi gab es eigentlich nie einen Unterschied zwischen der Kunst auf der Bühne und der in der Backstube: „Mit der Qualität meiner Waren versuche ich, meine Kultur authentisch zu vertreten.“

Wie ein Theaterregisseur seine Schauspielertruppe dirigiert sie nun die Belegschaft des Cafés. Das Management der Backstube ist für sie wie ein Spiel, bei dem jedes Gebäck nach seinen eigenen Regeln funktioniert. „Daran muß man sich strikt halten. Wenn auch nur eine Kleinigkeit im Backablauf nicht eingehalten wird, schmeckst du das hinterher“, beteuert die Frau, die anscheinend nie den Überblick verliert. „Und eines habe ich schließlich erkannt: Wenn du in der Lage bist, einen wirklich guten Bagel zu backen, dann hast du einen großen Abschnitt im Leben erreicht!“