Training für den Auftritt in Den Haag

Der Hauptzeuge im Prozeß gegen den angeklagten Serben Tadić soll für seine Aussage präpariert worden sein. Jetzt steht die Glaubwürdigkeit des gesamten Tribunals auf dem Spiel  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Steht der bislang einzige Prozeß vor dem Den Haager Tribunal über die Kriegsverbrechen in Ex- Jugoslawien vor der Einstellung? Droht gar dem Tribunal das vorzeitige Ende? Diverse Kommentare der letzten Tage, sowie die laut geäußerte „extreme Besorgnis“ der kanadischen Chefanklägerin Louise Arbor könnten diesen Eindruck erwecken.

Anlaß ist die Erklärung des Hauptbelastungszeugen im Prozeß gegen den Serben Dušan Tadić, er sei für seine Aussagen von der Militärpolizei der Regierung in Sarajevo präpariert worden. Die Ankläger des Tribunals legen Tadić Morde an mindestens 30 Muslimen und Kroaten im Jahre 1992 zur Last sowie Folter und sexuelle Gewaltverbrechen. Der in den Gerichtsakten als Zeuge „L“ geführte bosnische Serbe Dragan Opacić hatte letzte Woche zu Protokoll gegeben, die Polizei habe seine Aussagebereitschaft mit der Drohung erzwungen, ihn hinzurichten. Anschließend sei er einen Monat lang sieben Stunden täglich für seinen Auftritt in Den Haag „trainiert“ worden. Die bosnische Regierung sicherte inzwischen eine „schnelle Untersuchung“ der Vorwürfe zu. Zeugen wurden schon einmal unter Druck gesetzt

Sarajevos Botschafter bei der UNO in New York, Muhammed Sacirby, verwies auf die Möglichkeit, daß Opacić einen Rückzieher machte, um sich vor den Serben zu rechtfertigen. Möglicherweise wurden ihm oder seinen Verwandten auch Repressalien angedroht, sollte er bei seiner Aussage gegen Tadić bleiben.

Für erfolgreichen Druck auf ZeugInnen lieferte der Tadić-Prozeß bereits ein Beispiel. Am ersten Verhandlungstag, am 7. Mai dieses Jahres, weigerten sich sechs Frauen, ihre Aussagen über sexuelle Gewaltverbrechen vor dem Haager Gericht zu wiederholen. Die Frauen – darunter das Opfer einer mutmaßlichen Vergewaltigung durch Tadić – und ihre Verwandten waren von Freunden Tadićs bedroht worden. Der für das Tadić-Verfahren zuständige Staatsanwalt Grant Niemann mußte daraufhin die Anklage wegen sexueller Gewaltverbrechen zurückziehen.

Nicht auszuschließen ist auch, daß Opacić von den Karadžić-Serben präpariert wurde, um die Glaubwürdigkeit des Verfahrens und des gesamten Tribunals zu unterminieren. Tadićs Hauptverteidiger Michail Wladimiroff äußerte auch gleich die „Befürchtung“, der Rückzieher Opacićs könne sich als „tödlich für das Gericht erweisen“. Das Tribunal sei lediglich „ein Propagandainstrument zwischen Muslimen und Serben“.

Vom ersten Prozeßtag an hatte Wladimiroff behauptet, das Tribunal sei „nicht zuständig“ für das Verfahren gegen seinen Mandanten. Selbst wenn sich die ursprünglichen Aussagen von Opacić endgültig als Lügen erweisen, ist damit das Verfahren gegen Tadić nicht hinfällig. Opacićs Aussagen bezogen sich nur auf einen Teil der Anklage, nämlich auf Tadićs mutmaßliche Verbrechen als Aufseher im serbischen Internierungslager Trnopolje im Nordosten Bosniens. Diese Anklagepunkte ließ Staatsanwalt Niemann nach dem Rückzieher Opacićs fallen. Aufrechterhalten wurden die Anklagepunkte, die sich auf mutmaßliche Verbrechen Tadićs in zwei weiteren serbischen Lagern beziehen.

Das Schicksal des Tribunals hängt weniger vom weiteren Verlauf des Tadić-Prozesses ab. Entscheidend sind vielmehr eine erhöhte Kooperationsbereitschaft zwischen Serbien und Kroatien sowie eine stärkere internationale Unterstützung, besonders durch die Garantiemächte des Daytonabkommens. Belgrad und Zagreb verweigern – ebenso wie die bosnischen Serben und Kroaten – die Auslieferung. Von 54 serbischen Angeklagten befindet sich nur Tadić in Gewahrsam; von 18 kroatischen Angeklagten sitzen nur drei in Untersuchungshaft. Mit einer Festnahme Angeklagter durch internationale Truppen ist auch weiter nicht zu rechnen. Als neue Begründung für diese Zurückhaltung dient die Verschiebung der bosnischen Kommunalwahlen. Der Versuch einer Festnahme könne die Wahlen gefährden.