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Medizinische Joints – ein kalifornisches Volksbegehren Von Mathias Bröckers

Wenn am Abend des 5. Novembers in den USA die Wahlzettel ausgezählt werden, werden sich mindestens 650.000 WählerInnen Kaliforniens nicht für den ohnehin feststehenden Ausgang des Clinton/Dole-Duells interessieren, sondern für das Ergebnis, das „Proposition 215“, das von ihnen eingerichte Volksbegehren, erzielt hat. Erreicht es mehr als 50 Prozent der Stimmen, muß Marihuana als Medizin in Kalifornien künftig legalisiert und Patienten mit medizinischer Indikation auch der private Anbau erlaubt werden.

In der Vergangenheit waren ähnliche, auf parlamentarischem Weg gemachte Gesetzesvorschläge per Veto verhindert worden. Doch anders als die meisten US-Bundesstaaten räumt die kalifornische Verfassung der Bevölkerung das Recht ein, mittels solcher Volksbegehren Gesetze zu erlassen. Weder der Gouverneur noch die Bundesbehörden oder der US- Präsident haben gegen ein solches Gesetz Vetorechte.

Im Sommer konnte „Prop. 215“ in den Meinungsumfragen eine Zustimmung von 65 Prozent verbuchen. Ende Oktober lagen die Vorhersagen allerdings nur noch bei 52 Prozent. Den Grund sieht Jack Herer, dessen Organisation H.E.M.P. (Help Eliminate Marihuana Prohibition) zwei Jahre lang Unterschriften für das Volksbegehren gesammelt hat, im Umschwenken der Medien: „90 Prozent der Presse ist mittlerweile auf den Dole/Clinton-Kurs eingeschwenkt. Sowohl Dole als auch Clinton haben sich bei ihren Wahlkampftouren in Kalifornien vehement gegen die Proposition 215 ausgesprochen, beide mit dem Argument: ,Wir brauchen keinen medizinischen Hanf, wir haben doch Marinol!‘ Doch wissen wir aus zahlreichen Untersuchungen, daß synthetisches THC wie Marinol bei einer Vielzahl von Patienten gar nicht oder kaum wirkt. Gegen Übelkeit bei Chemotherapie ist es natürlichem Marihuana weit unterlegen. Es ist die schlechtere Medizin und viel teurer. Wie wenig das Zeug taugt, kann man schon daran sehen, daß es dafür keinen Schwarzmarkt gibt. Auf der Straße kriegt man keinen Penny für so eine Pille.“

Für die kalifornischen Hanfaktivisten ist das Votum ein entscheidender Knackpunkt: „Wenn wir gewinnen, ist das der Durchbruch“, so Jack Herer, „wenn wir verlieren, wird es ein Rollback geben, Schikanen, Verhaftungen. Das wird ganz übel.“ Einen Vorgeschmack gab es vor 14 Tagen mit der Verhaftung von Dennis Peron, dem Gründer des „Cannabis Buyers Club“ in San Francisco, der seit 1991 Zehntausende von Aids- und Krebspatienten und anderen Kranken mit Marihuana versorgt hatte. Die Duldung des Clubs durch die Stadtväter und die City Police war dem FBI und anderen Bundesbehörden stets ein Dorn im Auge; jetzt haben sie termingerecht zugeschlagen, um in den Medien einen „kriminellen“ Hintergrund des Volksbegehrens präsentieren zu können.

Die Abstimmung um den kalifornischen Joint auf Rezept wird US-weit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und hat auch für Europa Bedeutung. Nach wie vor sind die USA finanz- und federführend im internationalen Drogenkrieg. Wenn sich aber in „gods own country“ am 5. November erste Abrüstungsmaßnahmen durchsetzen, rückt ein Friede in diesem Krieg auch weltweit näher.

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