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Das blondierte Konzentrat einer Schicht

Handys, Kneipen, Cha-Cha-Cha: Der deutsche Film hat Probleme beim Nachstellen von Milieus. Gesellschaftskomödien driften in Reklamebilder ab, Martyrien bleiben Martyrien. Ein Bericht über die 30. Hofer Filmtage  ■ Von Katja Nicodemus

Das Festival begann mit einem Super-GAU und einer Behauptung. Der größte anzunehmende filmische Unfall wurde von Sherry Horman verursacht. „Irren ist männlich“ nennt sich schamlos Komödie und eröffnete die Hofer Filmtage. Die Behauptung: Der Film spiele im Münchner Schickimicki-Milieu und erzähle etwas von den Menschen, die da leben. Sie beruht auf der Annahme, eine Edelanwaltsexistenz erschließe sich durch holzgetäfeltes Büro, feines Tuch, Handy und hastige Schritte. So beließen auch andere Filme dieses Festivals das Milieu, in dem sie zu handeln meinten, bei ein paar Ausstattungssignalen. Grelles T-Shirt, zappelnde Bewegungen und ein Ziegenbärtchen ergibt einen DJ der Techno-Szene („Still movin“, Niki Stein). Oder Eisdiele plus Cha-Cha-Cha plus Pünktchenrock die fünfziger Jahre („Die Halbstarken“, Urs Egger).

Zurück zur Schickeria: Was bei Horman einen ganzen Film lang stur verkündet und letztlich vorgelogen wird, gelingt dem Österreicher Wolfgang Glück sozusagen mit einer beiläufigen Bemerkung. Nur am Rande kommt in seinem Film „Es war doch Liebe“, der tragikomischen Chronik eines Eheendes, die Figur der gönnerhaften, reichen Freundin vor. Hilfsbereit und hysterisch, barbusiger Alptraum, Schreckschraube und blondiertes Konzentrat einer ganzen Schicht, flötet die Dame vom Pool ins Handy. Das Schwimmbecken, in der österreichischen Produktion ironisches Beiwerk einer Blitzsatire, bleibt bei Horman genau das Symbol für Luxus und Erfolg, als das es vom Hersteller verkauft wird. Am Beckenrand scheiden sich Gesellschaftskomödie und Werbeprospekt.

Nach dem Horman-Horror konnte es nur noch besser werden bei den Filmtagen, die in diesem Jahr ein Jubiläum feierten, just gemeinsam mit dem Bekleidungsgeschäft vis-à-vis: „30 Jahre Hof“ – „Zwanzig Jahre Giselachic“. Der Preis der Stadt Hof ging denn auch mit Werner Schroeter an einen Regisseur, der das Festival seit den Anfangszeiten begleitet hat.

Hof-Chef und Urhofer Heinz Badewitz bezeichnete es als besonderes Anliegen, auf die Anfangsdevise des Programms der kleinen, unbekannten und Erstlingsfilme zurückzukommen. Nicht ohne Stolz hatte man sich damals in der Entstehungsphase als filmischen „Arsch der Welt“ tituliert. Und auf den promimenten Programmplatz des Samstagabends setzte Badewitz mit Connie Walthers „Das erste Mal“ einen echten Frischling: die Innenansicht einer schwärmerischen Teenieseele, Irrungen und Wirrungen der Pubertät im heutigen Berlin, Banales und Gravierendes vom ersten Sex und die große Liebe zu Johnny Depp.

Schemenhaft und im Halbdunkel tritt der Star tatsächlich auf oder zumindest seine deutsche Synchronstimme. Obwohl ihr gleich ein ganzer Haufen öffentlich-rechtlicher Redakteure in den Dreh hineinredete, unterläuft Walther das fernsehästhetische Einerlei mit dieser phantastischen Ebene, mit merkwürdigen Wahrnehmungsblitzen, mit der Kamera immer dicht am Gesicht der Hauptdarstellerin. Und während andere Produktionen mit ein paar U-Bahn-Schildern und dem Fernsehturm im Abendrot wieder nur behaupten, in Berlin zu spielen, mischt sich die Stadt hier wirklich ein. Laut, schroff, chaotisch, eine Baustelle, wie auch der Kopf der Protagonistin.

In „Gefährliche Freundin“ von Hermine Huntgeburth trinken die Heldinnen zwar Kölsch, und man sieht hin und wieder den Rhein, dennoch bleiben Corinna Harfouch und Katharina Thalbach irgendwie die ganze Zeit in Berlin. Ob Nippes oder Neukölln ist tatsächlich unerheblich angesichts der Kaschemmen, in denen sich die Freundinnen abends die Kugel geben, Harfouch als mannstolle, Thalbach als unscheinbare Schlampe. Die Eckkneipe wird bei Huntgeburth fast ethnographisch betrachtet, verrauchte Trutzburg des deutschen Feierabendabsturzes. Boxkampf und Kantinentratsch, versaute Saufexzesse mit Bier, Schnaps, Sekt und Abba, Fernfahrersex; das könnte ewig so weitergehen, wäre da nicht die zähe Mordgeschichte, den Kneipenköniginnen ebenso aufoktroyiert wie dem ganzen Film.

Hof hatte auch sein Großereignis: Bernd Eichingers bomberjackige Selbstdarstellung erinnerte mit jovialem Zuschauerduzen an Arnies kürzliche Werbeauftritte in Berlin. „German Classics“ heißt der Ramschtitel einer Reihe von Remakes alter deutscher Erfolgsfilme, die Eichingers Neue Konstantin für Sat.1 produziert. Mit „Das Mädchen Rosemarie“, nach dem Leben der Edelprostitutierten Rosemarie Nitribitt, die im Wirtschaftswunderfrankfurt die oberen Zehntausend befriedigte und 1957 ermordet wurde, versuchte sich Eichinger nach 30 Jahren Produzentendasein selbst wieder als Regisseur. Und siehe da, das Drehbuch hat Witz, die Umsetzung Stil und der Film seinen Unterhaltungswert. Es ist ein einziger langer Paradeauftritt für Nina Hoss – vielleicht endlich die langersehnte Kandidatin, um Katja Riemann ein für alle mal von der Bildfläche zu boxen. Sogar Schleimer wie Mathieu Carrière oder Hannelore Elsner mutieren unter Eichinger zu anständigen Schauspielern. Nicht so Til Schweiger. Bei Eichinger ist er in einer Neben-, in Urs Eggers völlig verbiedertem Remake von „Die Halbstarken“ in der Hauptrolle zu sehen. In beiden Filmen nennt er seine Liebste „Prinzessin“, was sich wie „Przeßn“ anhört.

Was noch? Wunderbares Licht, Stummfilmtableaus und stimmungsvolle Landschaften in Ivan Filas „Lea“. Aber ach, die Geschichte: Nachdem ihre Mutter vom Vater erschlagen wurde, wird die sprachgestörte Lea von ihrer herzlosen Pflegefamilie an einen ehemaligen deutschen Fremdenlegionär verkauft. Nach anderthalb Stunden Schlägen, Handschellen und Martyrium scheint zum ersten Mal ein Lichtlein am Horizont. Prompt stirbt die Heldin an Gehirnschlag.

Hof mal dreißig, alles beim Alten. Der Fußball (4:3 für die Filmtage), Rostbratwürstchen, die Beatnik-Frisur von Heinz Badewitz, die Exzesse des süddeutschen Feuilletons im Gasthof Strauß; dazu nächtliche Trash-Filme wie „The Eliminator“. Und wieder traute sich keiner, vorm Kino mal in den Bus Richtung Unter- oder Oberkotzau zu steigen.

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