: Tränen aus Käse
■ Ab morgen geht die niederländische Showfabrik Endemol an die Börse
Aalsmeer (taz) – „Mir kommen selbst regelmäßig die Tränen“, gesteht Richard Rietveld, Vertreter der TV-Firma Endemol in Portugal. „Selbst als ich noch kein Portugiesisch verstand, konnte ich meist nur mit Mühe meine Emotionen zurückhalten.“
Die Sendung, die den 39jährigen Niederländer so zu Tränen rührt, heißt „All you need is love“ und ist in sieben Ländern zu sehen. Hierzulande wird die pubertäre Kuppelshow auf Sat.1 vom frischgefönten Moderatorennachwuchs Kai Pflaume präsentiert. Titel: „Nur die Liebe zählt“.
Für das niederländische Tränenkombinat Endemol zählt freilich vor allem Geld. Seitdem John de Mol (41), Bruder der RTL-Moderatorin Linda de Mol („Traumhochzeit“), und Joop van den Ende (55) ihre Firmen 1994 fusionierten, stieg der Umsatz von Endemol innerhalb eines Jahres um 37,2 Prozent auf 642 Millionen Gulden (etwa 578 Millionen Mark). Nicht zuletzt dank deutscher Zuschauer, die Endemol vor allem via RTL mit seichter Show-Software versorgt: Fun-Formate wie „Traumhochzeit“, „Mini Playback Show“, „100.000 Mark Show“ und die Kandidatenhavarie „Glücksritter“ gehören seit langem zu Helmut Thomas Quotenhits.
Neben dieser seichten Entertainment-Palette produziert Endemol noch Theaterstücke, Musicals und seit der spektakulären Übernahme von „Holiday on Ice“ auch Eisspektakel. Doch der hitzköpfige Joop van den Ende und der eher kühle John de Mol wollen noch höher hinaus: Für ihr TV-Engagement in Osteuropa, Südafrika, in den USA und im Nahen Osten brauchen sie dringend Geld, und das soll nun über die Börse akquiriert werden.
Am Freitag soll es soweit sein, bis heute können sich potentielle Anteilseigner vormerken lassen. Insgesamt werden John de Mol und Joop van den Ende (jeder ist mit 47,5 Prozent beteiligt) ein Drittel des Betriebskapitals in Aktien ausgeben – für rund 44 Gulden (40 Mark) das Stück. Die Konsortialbank ABN Amro schätzt den frischen Kapitalfluß auf fast eine halbe Milliarde Mark, der Wert des Gesamtkonzerns soll sich bereits jetzt auf 1,4 Milliarden Gulden (rund 1,26 Milliarden Mark) belaufen.
Der Börsengang ist Ausdruck eines rigorosen Managements, das im krassen Gegensatz zu der profanen Produktpalette steht. Denn in der Spaßfabrik Endemol wird hart gearbeitet. So basiert der Erfolg von Sendungen wie „All you need is love“ auf regelrechter Feldforschung: Zwar haben alle europäischen Versionen die gleiche Showtreppe und ähnliche Präsentatoren (weiße Zähne, Schwiegersohn-Image), darüber hinaus gilt es, kleine Mentalitätsunterschiede zu machen: Während es bei den deutschen Moffen ständig ums Geld geht, verströmen in Spanien relativ alte Kandidaten und Moderatoren einen starken Hauch Melancholie.
„Von außen sind wir Glanz und Glimmer“, sagt John de Mol, „aber von innen ein straff geleiteter Betrieb.“ Die 1.654 festen Mitarbeiter (zu 56 Prozent weiblich und zu 58 Prozent jünger als 30) seiner Showfirma spucken ein Produkt nach dem anderen auf den europäischen Binnenmarkt. Da bleibt noch nicht einmal Zeit, einen Betriebsrat zu gründen.
Kein Wunder, daß die genügsamen Endemol-Redakteure in der Branche einen guten Ruf genießen. So gut, daß Endemol in Aalsmeer sogar eine eigene Fernsehschule gegründet hat: Call-TV: Täglich plaudern auf der niederländischen Station „Veronica“ junge Moderatoren mit jungen Anrufern, während junge Redakteure versuchen, die Plattheiten mit unterhaltenden Elementen erträglich zu machen. Kosten soll das alles möglichst wenig.
Doch im Land des TV-Lächelns gibt es zuweilen Probleme: So bekam Endemols bislang makellose Bilanz einen Knick, als sich das Unternehmen mit 19,5 Prozent am Spartenkanal Sport 7 beteiligte. Der Sender, initiiert vom holländischen Fußballverband und dem Elektroriesen Philips, ist seit August mit Fußball satt auf Sendung, hat aber nur wenig Zuschauer, weil die Spiele in einigen Städten als Pay-TV laufen. Außerdem sorgte Endemol mit einer schlechten Präsentation und schlechten Moderatoren für einen klassischen Fehlstart.
Doch auch der Fußball-Flop kann John de Mols Enthusiasmus nicht bremsen. Im Gegenteil: Nach dem Gang an die Börse will er mit seinem Partner weiter gen Osten marschieren. „Noch sind wir in Deutschland nur die Kaasköppe, aber möglicherweise kaufen wir bald Anteile, um tiefer in die Fernseh-Infrastruktur zu kommen.“ Mike te Roller
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