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Gelungene Gesten

Das Land Sachsen gibt den Wettinern ihren Schatz zurück und stellt auch noch ein Schloß in Aussicht

Von Christian Semler

Erstveröffentlichung in: Wochenpost Nr. 45/ 31.10.1996

Zitate

“Das Haus Wettin hat sich nie undankbar gezeigt.“ Maria Emanuel, Markgraf von Meißen, Herzog von Sachsen, derzeit Chef des Hauses Wettin.

“Za króla Sasa: Jedz, pij i pepuszczai sasa.“ (unter den sächsischen Königen: Iß, trink und lockere den Gürtel). Populärer polnischer Reim zur Zeit des Wettiners August III., König von Polen und Kurfürst von Sachsen, als es unter den sächsischen Königen in Polen politisch bergab, aber ökonomisch bergauf ging.

“Macht euren Dreck alleene!“ Friedrich August III., letzter König von Sachsen, anläßlich seiner Abdankung zur Abordnung der sächsischen Arbeiter und Soldatenräte.

Daß ein Schatzsucherpärchen im Wald um Moritzburg fündig wurde und anschließend, vom schlechten Gewissen überwältigt, seinen Fund den Behörden anzeigte, erwies sich für die sächsische Landesregierung als ausgesprochener Glücksfall. Zu Tage war prächtiges Tafelsilber getreten, das Mitglieder des ehemaligen Herrscherhauses Wettin 1945, kurz bevor die Sowjetarmee eintraf, höchstpersönlich vergraben hatten. Ohne zu zögern erklärte der Finanzminister die Schüsseln und Pokale zum Eigentum der Wettiner. Gleichzeitig ließ er durchblicken, der königlichen Familie stünde für den Fall ihrer endgültigen Rückkehr ein angemessenes Domizil in Dresden zur Verfügung, wenn sie die wertvollsten Fundstücke auf Dauer der Öffentlichkeit zugänglich mache.

Diese Geste des „Freistaats“ gegenüber der ehemals königlichen Familie war ebenso geschickt wie möglicherweise segensreich in ihren Folgen. Denn Sachsen braucht seine Wettiner, während letztere es mit dem denkwürdigen Ausspruch halten können, den König Friedrich August III. 1918 anläßlich seiner Abdankung tat: „Macht euren Dreck alleene!“

Warum ist eine Brise Monarchentum für ein Land so wichtig, das in der Person Kurt Biedenkopfs bereits über einen Wahlmonarchen verfügt? Zur Beantwortung dieser Frage muß zunächst auf den bedauerlichen Umstand verwiesen werden, daß Kollektivsinn und einheitsstiftende Symbole wie Gesten generell zur knappen Ware geworden sind. Die unablässigen Wehklagen, die diesem Stand der Dinge gelten, hatten nach der Vereinigung rasch auf den Osten Deutschlands übergegriffen. Kein Wunder, denn mit dem Ende der DDR war Befürwortern wie Gegnern des Realsozialismus das große „Ganze“ abhanden gekommen. Und aus dem neu entstandenen Nationalstaat der „Berliner Republik“ ließen sich erhabener Sinn wie anrührende Emotionen nur spärlich destillieren.

Gott sei Dank besann man sich rechtzeitig der Tatsache, daß es auch im Osten schon Stämme und Stammesterritorien gegeben hatte, ehe von Deutschland die Rede war. Woraus sich bei richtigem Umgang jede Menge identitätsförderndes Material gewinnen ließ. Wie keinem anderen ist es Kurt Biedenkopf gelungen, mit diesem neu alten Kapital zu wirtschaften. Schlagartig fand der trostlose Leumund Sachsens als Heimat des „Spitzbarts“ und vieler seiner Kumpane ein Ende. Jetzt erstrahlt wieder die Tradition August des Starken, der zwar Polen ruinierte, aber Dresden zu seinem ehemals glanzvollen Outfit verhalf.

Mit der bloßen Erinnerung an die kurfürstlich-königlichen Zeiten ist es indes nicht getan. Was bislang fehlte, war ein Stück anfaßbarer Monarchie. Nicht mit herrschaftlicher Gewalt sollten die königlichen Nachfahren ausgestattet werden, vielmehr sollten sie als Exponenten feiner Lebensart agieren, rauschende Feste in ihren Schlössern und Gärten veranstalten, Denkmäler pflegen, Kenntnisse über alte Möbel und Weine verbreiten. Vor allem sollen sie anschaubar, in Maßen sogar betastbar sein. Lebendes Kulturinventar. Die Wittelsbacher erfüllen in Bayern diese Funktion vortrefflich. Die Wettiner stehen bereit. Sie warten nur noch auf eine angemessene Bleibe, eben jenes Schloß Wachwitz in Dresden, das ihnen vom Finanzminister angeboten wurde. Die Gemächer des Schlosses sind zwar zwischenzeitlich von der FDJ profaniert worden, können aber mit vergleichsweise niedrigen Kosten für die Ansprüche der Feudalität wiederhergerichtet werden.

Die edle Geste der sächsischen Regierung hinsichtlich des Tafelsilbers kostet Biedenkopf keinen Pfennig. Denn auf Grund des Ausgleichsleistungsgesetzes von 1994 waren die Behörden sowieso verpflichtet, mobiles Eigentum, das nach 1945 enteignet wurde, spätestens 20 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes den Eigentümern zurückzugeben. Und das Tafelsilber gehörte zweifelsfrei bis 1945 zum Privatbesitz der Wettiner. Nicht restitutionspflichtig sind hingegen die beschlagnahmten Immobilien. Aber für die Rückkehr der Wettiner zahlen die sächsischen Landeskinder mit Schloß Wachwitz einen lächerlich niedrigen Preis. Dies umso mehr, als für die monarchiesüchtigen Massen eine Lösung nach englischem Vorbild gefunden werden könnte: partielle Öffnung der Gemächer, den gut zahlenden Besuchern ein leutseliges Händeschütteln seitens des Schloßherrn. Für diesen Zweck müßte Prinz Maria Emanuel, Markgraf von Meißen und Herzog von Sachsen, nur noch ein wenig des feinen Dresdner Hofsächsisch üben, das ihm in seinem Exil am Genfer See abhanden gekommen ist.

Trägt die entschlossene Geste des sächsischen Freistaats gegenüber den ehemaligen Landesherren Frucht und kehren die Wettiner nach Dresden zurück, so wird das nicht nur die schon erwähnten positiven Folgen für die sächsische Bewußtseinsbildung haben. Maria Emanuel könnte auch als Geheimwaffe Sachsens gegenüber der EU-Bürokratie eingesetzt werden, die bekanntlich Subventionszahlungen aus der sächsischen Staatskasse an die VW-Betriebe im Freistaat unterbunden hat. In seiner Polemik gegen die Brüsseler Kommission rekurrierte Biedenkopf nicht nur auf das Alter des Industriestandorts Sachsen, sondern auf das Alter des sächsischen Staates überhaupt. Im Kampf mit solchen Nobodies wie dem EG-Kommissar van Miert würde Maria Emanuel, Sproß einer tausendjährigen Herrscherfamilie, als Botschafter Sachsens; in Brüssel ganz bestimmt eine gute Figur machen. Die Tradition in den Dienst des Fortschritts und mit dem Haus Wettin für die Zukunft der Arbeitsplätze!

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