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Im "Hamburger Bahnhof" in Berlin wird morgen das "Museum für Gegenwart" eröffnet. Kernstück des neuen Ausstellungszentrums bildet die Kollektion zeitgenössischer Kunst, die der Berliner Bau- und Immobilienunternehmer Erich Marx zusammengetr

Im „Hamburger Bahnhof“ in Berlin wird morgen das „Museum für Gegenwart“ eröffnet. Kernstück des neuen Ausstellungszentrums bildet die Kollektion zeitgenössischer Kunst, die der Berliner Bau- und Immobilienunternehmer Erich Marx zusammengetragen hat. Die Sammlung hat gute Stücke: berühmte Arbeiten von Andy Warhol, Joseph Beuys und Robert Rauschenberg. Aber was sie nur bedingt vermittelt, ist Geistesblitz. Sie ist im Prinzip auf Sicherheit gebaut.

Kunst ohne Geschichte

Bei Mitternacht war der Hamburger Bahnhof schon zu sehen, kurz nachdem man an der Reichstagsbaustelle vorbei war: als blaues Licht, das in allen Gebäuden der Umgebung widerstrahlt. Der Bauzaun hatte Lücken, so daß man in den Innenhof des Gebäudes treten konnte, mit seiner pseudoitalienischen Fassade, rechts und links die Flügelbauten mit ihren kuriosen römischen Reliefs. Im letzten Jahrhundert als Bahnhof gebaut, dann umgewidmet zum Museum, im Zweiten Weltkrieg zerstört und erst in den achtziger Jahren vom Schrotthaufen der Geschichte geholt: unser kleines Musée d'Orsay.

Zwölf Stunden später, ein Déjà-vu, die gleiche Stimmung wie vor acht Jahren, als der Hamburger Bahnhof zum ersten Mal öffnete: für die Presse. Und schaut man hinein in die Halle, sieht es auf den ersten Blick gar nicht so anders aus als damals, als Harald Szeemann den Berlinern gezeigt hatte, wie man Skulptur in eine Halle setzt. Und zwar so, als wenn sie dort schon immer gestanden hätte.

Auf den zweiten Blick ist das nicht so. Der bleierne Flieger von Anselm Kiefer, der in der Galerie von Paul Maenz riesig, im offenen Obergeschoß der Nationalgalerie groß ausgesehen hatte, wirkt hier verloren. Das Glasiglu von Mario Merz, hinten vor der Glaswand aufgebaut, sieht etwas substanzlos aus. Nur der weite, flache Kreis aus keilförmig geschlagenen Steinen, den Richard Long in Handarbeit collagiert hat, beantwortet den Raum als Fläche und Volumen.

An dieser Stelle war zu berichten geplant, daß die Sammlung von Erich Marx im weiter ausgebauten und mit einem Ergänzungsbau von Josef Paul Kleihues versehenen Hamburger Bahnhof ein prächtiges „Museum der Gegenwart“ sei. Statt dessen muß konstatiert werden, daß die von den Staatlichen Museen (SMPK) langwierig ausgehandelten Kompromisse nicht zu einem stringenten Plan geführt haben, und schon gar nicht zu einer homogenen oder transparenten Präsentation einer Kunstepoche: 1963 (Warhol) bis jetzt.

Erich Marx ist ein Immobilienunternehmer, der aus Rombach bei Lörrach stammt und es zu zweierlei gebracht hat: einer sanften Melancholie mit Anflügen besonnener Heiterkeit und einem gewaltigen Vermögen. Dieses Vermögen hat er in erheblichem Umfang in Kunstwerke investiert. Sein Berater ist ein ehemaliger Assistent von Beuys namens Heiner Bastian, ein Mann von Anfang fünfzig mit jugendlich-englischem Charme, der als Dichter erfolglos blieb und als Assistent von Beuys, als Kunsthändler und Kurator soviel Haß auf sich gezogen hat, daß man auf umfassenden Erfolg in allen Sparten schließen kann.

Die Sammlung von Erich Marx hat gute Stücke: von notorischen Künstlern wie Gerhard Merz, von respektierten Künstler-Arbeitern wie Reinhard Mucha, von Celebreties wie Robert Rauschenberg und vom Idol der Moderne, Andy Warhol. Auch vom Idol der wichtigsten Gegenströmung, Joseph Beuys. Was die Sammlung nur bedingt vermittelt, ist Geistesblitz, Werkbewußtsein und Beharrlichkeit. Das fällt besonders bei Warhol auf. Ein guter Teil der Arbeiten stammt aus den „Todesthemen“, die vor Jahren in einer vorzüglich grauenerregenden Ausstellung zu sehen gewesen waren: Filmschützen, Autounfälle und der elektrische Stuhl. Dann aber gibt es weitere Siebdrucke – von der Campbell-Dose über die Mona Lisa bis zu einem Mao-Porträt –, die das Themenmuster zerstören. Man wollte irgendwie alles und hat irgendwie fast nichts bekommen. Jedenfalls keine Einsicht.

Die Sammlung ist im Prinzip auf Sicherheit gebaut. Tendenziell aber gilt, daß die größeren Stücke die schwächeren sind. Das gilt etwa für ein spurenarmes Twombly- Triptychon „Thyrsis“ auf hellem Grund. Aber es gilt erst recht für die Malerwerke der italienischen „Transavantguardia“, deren großkotziger Symbolstil und aufdringlicher Lyrismus sich zehn oder fünfzehn Jahre nach der großen Zeit von Cucchi, Chia und Paladino liest wie eine unfreiwillige Persiflage auf das Werk von Chagall.

Der Hamburger Bahnhof ist mit Sachkenntnis ausgebaut; es gibt die Raummodelle Halle, Schlauch und Labyrinth. Der Zusatzbau von Kleihues, im Nordosten, ist eine Art hoher Tunnel mit künstlichem Oberlicht. Dort finden sich die Arbeiten von Rauschenberg, Twombly, Warhol. Allerdings ist der Raum für die Bilder unnötig hoch; sie bekommen etwas von einem abgesackten Fries. Den Gegenpol stellt der komplett restaurierte Westflügel des alten Bahnhofs dar, in dessen Untergeschoß größere Arbeiten von Beuys zu sehen sind, teils von Marx, teils aus der Neuen Nationalgalerie „geliehen“. Die Installationen haben genau denselben Makel, den die von Heiner Bastian ausgerichtete erste Beuys-Retro (nach seinem Tod) auch hatte: Die Aura der Werke wirkt gebrochen, ihre Substanz geliftet, ihre Borstigkeit gekämmt. In der Etage darüber fragt man sich, wie man darauf verfallen konnte, Zeichnungen in einen Saal von wohl zwanzig Meter Breite zu hängen. Keine Spur von Kabinett.

Dieter Honisch, Chef der Neuen Nationalgalerie und an der Bahnhofshängung beteiligt, sagt: „Kunstgeschichte kommt nicht ohne Kunst, Kunst aber ohne Kunstgeschichte aus.“ Nur ist die Kunst eben kein Hund, der dreimal kreist und sich unfehlbar am richtigen Platz niederlegt. Sie muß doch gedeutet werden. Man will den „vier Direktoren“, die der Hamburger Bahnhof hat, nicht zu nahe treten. Aber wer sein Gefühl für etwas ausstellt, muß es eben auch kritisieren lassen.

Die wichtigste Zäsur im Aufbau des Bahnhofs als Museumsbau und Leihgabensammlung war die Entscheidung von Wolf-Dieter Dube, Direktor der Staatlichen Museen, den für die Leitung des Unternehmens zuständigen Kurator aus dem Projekt abzuziehen: Wulf Herzogenrath reagierte auf seine Kaltstellung mit dem Weggang nach Bremen. Damit waren die Kompetenzen zu einem unentwirrbaren Geflecht zusammengerutscht. Jetzt merkt man, daß die deutende Hand fehlt. Daß die Herren der Museen so stramm und jovial ihre Einigkeit betonen, daß 400 Journalisten dazu nicht eine einzige Frage einfällt. Das Gerangel um Orte, Objekte und Zuständigkeit hat erst begonnen. Ulf Erdmann Ziegler, Berlin

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