: Alles kleine Hosenscheißer
Die Ossis waren richtig gewickelt. Jetzt wollen auch die Wessis ihre Kinder in umweltfreundliche Windeln kacken lassen. Modellprojekt in Kita ■ Von Jens Rübsam
Weil Kai ein kleiner Hosenscheißer ist, ist er heute ein großer Star. Ruhig liegt er auf dem Wickeltisch, hat die Augen zugekniffen und das linke Fäustchen an den Mund gepreßt. Willig läßt er sich von Krippenerzieherin Simone Kiekbusch den schwarzen Schlüpfer abziehen, die Beinchen hochheben und die Windel drunterlegen. So ungewöhnlich wäre das alles nicht. Nur: Kai hat heute gar nicht ins Höschen geschissen. Weil er aber ein „Modellprojekt-Kind“ ist und die Presse sehen will, wie Kinderscheiße umweltfreundlich entsorgt werden kann, muß er trotzdem Modell liegen.
Kai Eisenmenger ist eines von 14 Kindern, die seit zwei Wochen in der Kita Lützowstraße (Tiergarten) mit Mehrwegwindeln gewickelt werden. Das Prinzip ist ganz einfach und nicht ganz neu: Statt Wegwerfpampers werden Mehrweghöschenwindeln, bestehend aus den leicht anzulegenden Höschen und den saugfähigen mehrlagigen Baumwollwindeleinlagen, verwendet. Das ist umweltfreundlich, weil nur das „große Geschäft“ als Abfall anfällt, die Baumwollwindel aber gewaschen und so ein Höschen mehrere Jahre getragen werden kann. Revolutionär ist das System nicht. Als es die DDR noch gab, gab es keine Pampers und nur Mehrwegwindeln. Simone Kiekbusch kann sich noch gut an ihre Vorwendearbeit in einem Marzahner Kindergarten erinnern: „Wir sind es gewöhnt, mit Mehrwegwindeln zu arbeiten.“ Die Mehrarbeit mache ihr deshalb gar nichts aus.
Mehrwegwindelsystem – für Krippenerzieherinnen ist das Mehrarbeit. Einmal mehr am Tag muß ein Baby gewickelt werden, „weil die Mehrwegwindel durchlässiger ist als die Wegwerfwindel“. Das aber, so Simone Kiekbusch, habe durchaus auch einen pädagogischen Effekt. „Das Baby merkt ganz schnell, daß es naß ist und will aufs Töpfchen.“ Die Prognose: Mehrwegwindelbabys werden ein Jahr früher trocken. Für Mehrwegwindeleltern heißt das: Sie sparen viel Geld. Immerhin kostet eine Packung Pampers (64 Stück) im Schnitt 30 Mark.
Für Jürgen Flanz vom Umweltamt Tiergarten hat das Modellprojekt eine höhere Dimension. „Es können Unmengen von Abfall vermieden werden.“ Konkret: Die über 23.000 Krippenkinder in Berlin verbrauchen pro Tag 70.000 Windeln; pro Jahr sind das 15,5 Millionen. Das entspricht einem Abfallberg von jährlich 23.000 Kubikmeter, also einer Containerstrecke vom Schloß Sanssouci bis zum Alexanderplatz. Allein in einer typischen Tiergarten-Kita mit 30 Windelkindern füllt sich ein 711 Liter großer Abfalleimer.
Zwei Monate wird in der Kita Lützowstraße das Modellprojekt getestet. Sollte sich der Erfolg herausstellen, will der Bezirk Tiergarten weitere Kitas für das Mehrwegwindelsystem gewinnen. Im übrigen hofft Jürgen Flanz, daß auch zu Hause Mehrwegwindeln eingesetzt werden.
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