: Ein Fahndungsfoto allein macht noch keinen RAFler
■ Die RAF-Gefangene Eva Haule bestätigt die Aussagen Seidlers – und entlastet weitere angebliche Mitglieder der Untergrundgruppe, nach denen gefahndet wird
Sieben Köpfe zieren derzeit die Fahndungsplakate des Bundeskriminalamts. Doch nie war unsicherer, wer von ihnen der Roten Armee Fraktion (RAF) tatsächlich angehört hat oder noch angehört. Die seit 1986 inhaftierte und zu lebenslanger Haft verurteilte ehemalige RAF-Aktivistin Eva Haule bestätigte Ende August bei einer Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Angaben des angeblichen Herrhausen-Attentäters Christoph Seidler.
Es sei „nie ein Thema“ gewesen, versicherte Haule, daß sich Seidler nach seinem Abtauchen Ende 1984 der RAF anschließen würde. Damit nicht genug: Haule schilderte ausführlich, daß es damals „außerhalb der RAF andere Strukturen in der Illegalität gegeben“ habe. Das Abtauchen aus der militant-linken Szene sei in jener Zeit also keinesfalls gleichbedeutend gewesen mit einem Schritt zur RAF hin. Wer nicht in der RAF gelandet sei, habe zum Beispiel logistische Arbeit geleistet oder an illegalen Publikationen gearbeitet.
Als Problem habe sich dann aber herausgestellt, „daß es eben Leute wie den Christoph gab, und zwar nicht nur ihn, die zwar als RAF-Mitglieder gesucht wurden, ihr aber nicht angehörten“. Einige der Betroffenen seien dann ins Exil gegangen, zum Teil unter Ausnutzung der Verbindungen der RAF ins Ausland. Auf Nachfrage versicherte Haule, neben Seidler und dem bereits vor einigen Jahren aus dem Libanon heimgekehrten Thomas S. habe „es noch mehrere solche Fälle gegeben“. Namen allerdings wollte die frühere RAF-Aktivistin nicht nennen, weil sie nicht wisse, ob „die Betroffenen damit einverstanden“ seien.
Eine Ausnahme machte Haule gegenüber den Vernehmungsbeamten in Karlsruhe dennoch: Auch Andrea Klump, die wie Seidler im Zusammenhang mit dem Herrhausen-Anschlag von dem Zeugen Siegfried Nonne schwer belastet worden war, sei nie RAF- Mitglied gewesen und habe mit dem Sprengstoffattentat auf den Bankchef nichts zu tun. Klump lebe seit vielen Jahren im Exil, allerdings sei sie, Haule, an der Organisation der Flucht nicht beteiligt gewesen und wisse auch nicht, wohin die Reise gegangen sei.
Sollten sich die Aussagen Seidlers und Haules bestätigen, blieben auf den BKA-Plakaten fünf Verdächtige: Sabine Elke Callsen, Daniela Klette, Barbara und Horst Ludwig Meyer und Ernst-Volker Staub. „Mehreren“ von ihnen will Haule bei der Exilierung behilflich gewesen sein. Sie haben der RAF, wenn dies so zutrifft, nie angehört. Ein Blick auf die Haftbefehle der fünf verbliebenen Gesuchten zeigt das ganze Ausmaß des Debakels für die Strafverfolgungsbehörden: Allein Horst Ludwig Meyer wird ein Mordanschlag vorgeworfen: der an dem Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und seinem Fahrer Eckart Groppler im Juli 1986. Alle anderen werden ausschließlich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§129a StGB) oder Anschlägen ohne Personenschaden gesucht. Gleichzeitig sind seit Mitte der achtziger Jahre sechs Anschläge der RAF mit insgesamt neun Toten vollkommen unaufgeklärt.
Die RAF der neunziger Jahre steht vor der Auflösung, die der achtziger Jahre verschwindet im Nebel. Über die Leute auf den Plakaten wissen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt so gut wie nichts. Dafür müssen sich die Fahnder an eine neue Erkenntnis gewöhnen: In der RAF waren und sind möglicherweise Leute organisiert, die auf keinem Fahndungsplakat und keiner Fahndungsliste jemals aufgetaucht sind.
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