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Radikalkur nach kurzer Erholung

Im Klinikzentrum von Bad Sulza ist man auf Minister Seehofer nicht gut zu sprechen: Die Kürzungen bei den Kuren treffen nicht nur die PatientInnen, sondern die Entwicklung einer ganzen Region in Thüringen  ■ Von Heide Platen

Dämmrig-feuchter Nebel, wohlige Wärme, farbiges Licht, Musik. Die Körper treiben fast schwerelos auf dem salzigen Wasser des Solebeckens, entspannen sich. Allround- künstler Micky Remann steht am Mischpult im Klinikzentrum Bad Sulza und mixt den „Liquid Sound“. Das ist ein Vergnügen. Und doch keins. Mit der Unterwassertherapie werden chronisch kranke Menschen und Rehabilitanden behandelt.

Der Solekurort Bad Sulza, im Osten Thüringens zwischen Weinbergen im Tal der Ilm, 25.000 Einwohner, hat seit der Wende erst einen tiefen Absturz, dann einen sanften Aufschwung erlebt. Eins der Zeichen des verhaltenen Optimismus ist das Klinikzentrum auf dem Hügel am Ortsrand. Der achtstöckige, weiße Kasten entstand 1969 und war ein modernes Therapiezentrum in einer der schönsten Gegenden der DDR, in dem vor allem Berufskranke der Wismut kurten. Die neuen Klinikbetreiber Marion Schneider und Klaus Dieter Böhm sind als Jungunternehmer aus dem Westen gekommen und haben „in der absoluten Talsohle angefangen. 1992 hatten wir 65 MitarbeiterInnen und fünf Patienten“, erzählt Schneider.

Der Bundestagsabgeordnete Heinz-Jürgen Kronberg (CDU) sagt: „Bad Sulza ist 1990 in sich zusammengefallen.“ Das Kurbad habe seither versucht, sich selber zu kurieren. Doch nun gehe wieder die Existenzangst um. Kronberg ist in das 1993 wiedereröffnete Klinikzentrum gekommen, den größten Arbeitgeber vor Ort, um über die Folgen der Gesundheitsreform zu reden. Früher war er Leiter des Sozialamts in Erfurt. Er ist sicher, daß die meisten seiner Bonner KollegInnen nicht wissen, was die Gesundheitsreform für die Kurorte in den den neuen Bundesländern bedeutet. Die Kurbetriebe sind einer der wenigen Wirtschaftszweige, die alte Arbeitsplätze gehalten und neue geschaffen haben.

Über die Dauer einer Kur, sollten Ärzte ...

Edeltraut Gruber ist 73 Jahre alt. Sie lebt in Ramis zwischen Gera und Saalfeld und ist zum zweiten Mal in der Kurklinik. Die Behandlung vor drei Jahren hat ihr gegen den trockenen Husten geholfen, an dem sie seit 16 Jahren leidet. Frau Gruber, klein, schmal und sehr damenhaft, hat diesmal nur drei Wochen Kur genehmigt bekommen. Sie ist keine, die bittet oder bettelt. Zu gerne würde sie auch diesmal vier Wochen bleiben, denn der schmerzende Husten hat sich zwar gebessert, würgt sie aber noch immer, wenn sie länger redet. Das ist ihr peinlich. Aber noch weniger traut sie sich, den Kurarzt um den nun notwendigen Antrag auf Verlängerung zu bitten, diese als Kranke gar zu fordern. „Ich weiß nicht, ob ich das wagen darf?“

Damit ist sie ein Beispiel für viele verunsicherte ältere Patienten, nicht nur aus dem Osten. Dabei ist sie durchaus selbstbewußt, hat das Textilgeschäft ihrer Schwiegereltern durch den realen Sozialismus gerettet. Aber für sich selber fordern mag sie nichts. Sie habe, sagt sie, doch immer für sich gesorgt und will „der Gesellschaft nicht zur Last fallen“. Gegen die erhöhte Zuzahlung von derzeit neun Mark pro Kurtag hat sie nichts einzuwenden. Ihre nicht gerade üppige Rente scheint ihr fast luxuriös: „Ich bin zufrieden.“ Wenn aber 1997 Ost-Patienten 20 Mark pro Tag zuzahlen sollen, werde es schwierig.

Edeltraut Gruber verabschiedet sich hastig. Zweimal pro Tag inhaliert sie, badet in der Thermalsole, bekommt Moorpackungen und Massagen, geht zur Gymnastik: „Das ist alles sehr stressig. Ich muß mich andauernd umziehen.“ „Toskana des Ostens“ hat Klinikleiter Böhm seine neue Heimat einmal genannt. Heinz-Jürgen Kronberg hat das zuerst „für etwas abgehoben gehalten“. Dann ist er selber gereist und hat sich von der Begeisterung des Westlers anstecken lassen. Die grünen Hügel, die Felsen und Burgen, die kleinen Weinberge, die grauen und gelben Natursteinhäuser, die verfallenen Mauern. Da wurden ihm auf einmal die Pappeln zu Zypressen: „Und ich dachte immer, hier sei es öde und langweilig.“

Böhm und Schneider haben seit 1992 ständig investiert. Das Mutter-Kind-Haus im neuangelegten Park ist eröffnet und die Zimmerzahl der Klinik verdoppelt: „Und jetzt müssen wir mit einem Patienten-Rückgang von einem Drittel fertig werden. Zuerst wollten wir das gar nicht wahrnehmen, weil es so weh tat“, sagt Marion Schneider. Die MitarbeiterInnen, die vorsichtig auf Sicherheit zu hoffen begonnen hatten, sagt sie, „spüren das auch: Man sieht das in ihren Augen. Sie werden wieder bedrückter.“ Und: „Die kleben wieder verängstigt zusammen. Ich kann dagegen überhaupt nichts tun.“

Rehabilitation und Kur, sagen die beiden Klinikchefs, dürften nicht in einen Topf geworfen werden. Rehabilitation bedeute gerade für chronisch Erkrankte Hilfe zur Selbsthilfe und kostensparende Patientenschulung. Kronberg ist ratlos: „Rehabilitation ist eine Kannbestimmung und deshalb ein Bereich, wo tatsächlich gestrichen werden kann. Alles andere ist gesetzlich festgeschrieben.“ Marion Schneider wird streng. „Dann muß das eben geändert werden“, gibt sie dem Abgeordneten mit auf den Weg.

Thüringens Kurkliniken haben zu einem gemeinsamen Kongreß über die Folgen der Kürzungen aufgerufen. Die Landesversicherungsanstalt Thüringen hatte schon Anfang des Jahres gewarnt, daß gerade bei den älteren PatientInnen „Vier-Wochen-Kuren sinnvoll erscheinen“ und eine Verkürzung den Erfolg in Frage stellen könne. Die Kliniken seien schon bereit, zu sparen, so Klaus-Dieter Böhm, denn Krise könne „auch eine Chance sein“. Er möchte das „aber bitte flexibel“ entscheiden: „Eine Schuppenflechte können wir hier in vier Wochen in 90 Prozent der Fälle heilen oder entscheidend bessern.“ Nur drei Wochen Kuranwendung seien „schon kritisch“. Wenn die Patienten mit Restflecken abreisten, weiß er, breche die Krankheit oft wieder aus. Und das koste die Krankenkassen im Endeffekt mehr Geld.

Er möchte deshalb Entscheidungen „von Fall zu Fall: Vier Wochen Kur sind doch für uns kein Dogma!“ Seit Jahren plädiere er dafür, mehr ambulante Behandlungen zu ermöglichen. Und eigentlich findet er auch Reformen überfällig, denn „wir sterben an der Wahnsinnsperfektion“. Aber: Die neuen Regelungen seien „zu starr“.

... und nicht Politiker entscheiden

Böhm und Schneider jedenfalls verstehen ihre Klinik nicht nur als Hoffnung für Patienten, sondern auch für Bad Sulza selbst. Sie hat sich zu einem Zentrum für Kunst, Kultur und gesellschaftliches Leben entwickelt. Als Neubürger treffen sie sich regelmäßig mit den Altbürgern im Landkreis. Die Runde nennt sich selbstbewußt „Apolda-Avantgarde“. Zu ihr gehört auch der parteilose Landrat Hans-Helmut Münchberg. Zu DDR-Zeiten engagierte er sich im Naturschutz, jetzt kämpft er für die Arbeitsplätze. Die Kurbetriebe hätten die Arbeitslosigkeit aufgefangen, und das, lobt er, „mit Pioniergeist und Mut zum Risiko“. Seit 1991 sind in Thüringen mit ausdrücklicher Förderung durch die Bundesregierung 14 Rehakliniken neu gebaut oder modernisiert woren, weitere sechs sind in Planung. Acht wären ab 1997 wieder überflüssig, mindestens 1.000 Arbeitsplätze gingen wieder verloren. Bundesweit, so errechnete es die Landesversicherungsanstalt Thüringen, könnten es bis zu 40.000 werden.

Die Folgen der Gesundheitsreform für den Osten Thüringens hält Münchberg denn auch für katastrophal: „Dieses Land lebt von der Kur: Als Kapital hat die Region ihre Landschaft und die Möglichkeit, Menschen zu heilen.“

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