: Mit Rechtsbruch den Haushalt sanieren
■ Beschlossene Absenkung der Leistungen für bosnische Flüchtlinge widerspricht Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Die vom Senat für den Haushalt 1997 beschlossene Absenkung der Leistungen für bosnische Kriegsflüchtlinge ist nach Auffassung der Opposition und Flüchtlingsorganisationen „ungesetzlich“. So sollen die Kriegsflüchtlinge mit einer Duldung zukünftig nicht mehr den Sozialhilfesatz bekommen und die ihnen ausbezahlten Leistungen auf das Niveau des Asylbewerberleistungsgesetz abgesenkt werden.
Sie bekommen dann nur noch maximal 384 Mark monatlich. Vorher waren es immerhin 531 Mark monatlich. Der Senat geht davon aus, daß dadurch 1997 rund 100 Millionen Mark gespart werden könnten.
Nach Angaben von Georg Classen, der Flüchtlinge in der Passionskirche berät, ist die Regelung deshalb ungesetzlich, weil das Oberverwaltungsgericht (OVG) bereits im Juni diesen Jahres ein diesbezügliches Urteil fällte. Danach erhalten Flüchtlinge mit Duldung dann den vollen Sozialhilfesatz, wenn ihrer Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht selbst verursacht haben.
Das OVG erkannte diese Abschiebehindernisse für bosnische Flüchtlinge an und begründete sie mit der politischen und sozialen Situation in Bosnien. Auch die flüchtlingspolitischen SprecherInnen der Bündnisgrünen und der PDS, Riza Baran und Karin Hopfmann, halten die neue Praxis aufgrund des OVG-Urteils für gesetzwidrig.
Innenstaatssekretär Kuno Böse vertritt dagegen die Auffassung, daß der freiwilligen Ausreise der Flüchtlinge keine Hindernisse entgegenstehen, „was durch die tatsächliche Rückkehr von Bosniern aus allen Bundesländern belegt ist“. So hat Gesundheitssenatorin Beate Hübner bereits Ende September ein Schreiben des Innenstaatssekretärs an alle SozialstadträtInnen verschickt.
Staatssekretär Böse argumentiert in dem Schreiben, das der taz vorliegt, die „allgemeine Notlage“ in Bosnien sei kein Hinderungsgrund für eine freiwillige Rückkehr, „denn sie ist alltägliche Wirklichkeit für die Bürger von Bosnien-Herzegowina, die sich nicht dem Schutz und der Versorgung durch die Bundesrepublik anvertraut haben“. Nach Böses Auffassung gehe das OVG von einer „unzutreffenden Annahme“ aus.
Auch nach Ansicht der Ausländerbeauftragten Barbara John ist die Rechtslage „nicht eindeutig“. Zugleich ist sie davon überzeugt, daß die Absenkung der Sozialhilfe-leistungen „kein großes Unglück“ für die Flüchtlinge sei. Das sei ihr in Gesprächen mit Flüchtlingen auch bestätigt worden. John glaubt jedoch, daß der verminderte Unterhalt die Flüchtlinge nicht dazu veranlasse, „die Stadt eher zu verlassen“.
Laut Flüchtlingsberater Georg Classen ist die Regelung bereits in Einzelfällen in Schöneberg angewandt worden. Auch Karin Hopfmann hat von einer Familie in Spandau erfahren, die jetzt weniger Geld bekomme. Classen fordert die Flüchtlinge auf, gegen die Absenkung Widerspruch einzulegen. Julia Naumann/Marina Mai
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