: Basis gegen Krümmel – und gegen die Grünen
■ Heftiger Streit um Abstimmungen und Rücktrittsforderungen
Die innergrüne Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern der rotgrünen Koalition in Schleswig-Holstein entwickelt sich zum Zweifrontenkrieg. Ausgerechnet der zerstrittene Landesvorstand muß sich nun mit dem Vorwurf beschäftigen, daß bei der entscheidenden Abstimmung über das Atomkraftwerk Krümmel auf der Landesdelegiertenkonferenz in Husum gemauschelt worden ist. Markus Stiegler, Büroleiter von Umweltminister Rainder Steenblock, soll mitabgestimmt haben, obwohl er kein Delegierter war. Stiegler selbst war gestern nicht zu erreichen.
Bereits auf der Delegiertenkonferenz vor einer Woche in Husum war die Rede davon gewesen, daß zwei Nicht-Delegierte mit abgestimmt hätten. Da jedoch zwei Stimmen das Ergebnis (59:43) nicht verändert hätten, wurde die Abstimmung für gültig erklärt. Allerdings war dies bereits der dritte Versuch gewesen, nachdem zwei Abstimmungen äußerst knapp ausgegangen waren.
Die neuen Vorwürfe könnten die in der Sache ohnehin gespaltene Partei vor eine Zerreißprobe stellen. Während die einen eine bewußte Manipulation vermuten, sprechen andere von einem erneuten Beispiel für grünen Dilettantismus. Bei Delegiertenkonferenzen sei es nicht unüblich, wenn man selber verhindert ist, die Stimmkarte an Mitglieder aus dem eigenen Kreisverband weiterzugeben, war von mehreren Grünen gestern zu hören.
Das Wiederanfahren des umstrittenen Atomreaktors Krümmel hat die Grünen zusätzlich in Bedrängnis gebracht. Nachdem das Energieministerium am Donnerstag das AKW wieder ans Netz ließ, forderten gestern die „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ und der Verein „Eltern für unbelastete Nahrung“ den grünen Staatssekretär Wilfried Voigt zum Rücktritt auf. Auch die Partei selbst mußte sich „katastrophales Nichthandeln“ vorwerfen lassen. Es sei ihr nicht gelungen, „grüne Ausstiegspolitik auch nur annähernd einzubringen. Damit habe sie sich in der Regierungsverantwortung „als überflüssig erwiesen“. Auch die Fraktion der GAL in der Hamburgischen Bürgerschaft monierte, „das Agieren des schleswig-holsteinischen Energieministeriums habe nicht genügend Ausstiegswillen erkennen lassen“.
Die Sprecher des Landesverbands Antje Jansen und Klaus Müller appellierten daraufhin gestern an „alle AtomkraftgegnerInnen, weiterhin mit uns zusammenzuarbeiten“. Nach der Entscheidung sind „wir nun verpflichtet, die Zusammenarbeit mit den Bürgerinitiativen und Klägern zu intensivieren“.
Während die Grünen mitten in der bislang heftigsten Krise stecken, herrscht bei den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) eitel Freude. „Der Meiler liefert seit Freitag, 6.51 Uhr, wieder Strom für Hamburg“, frohlockte HEW-Sprecher Johannes Altmeppen. Nach seinen Angaben würden die HEW wegen des Stillstandes keine Klagen auf Schadenersatz gegen das schleswig-holsteinische Energieministerium einreichen.
Das AKW hatte rund zwei Monate lang keinen Strom produziert. Es war für eine turnusmäßige Revision abgeschaltet worden. Am Donnerstag hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig vorläufig grünes Licht für das Wiederanfahren des Reaktors gegeben (taz berichtete).
Zu einer spontanen Versammlung gegen die Wiederinbetriebnahme des AKW Krümmel hat die Bürgerinitiative Geesthacht aufgerufen. Unter dem Motto „den Abschaltknopf beleuchten“ treffen sich AtomgegnerInnen heute um 13 Uhr in Lüneburg (Am Sande) und um 16.30 Uhr mit Laternen und Fackeln vor dem Reaktor.
Kersten Kampe / dpa / taz
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